Die ganze Welt ist in Aufruhr – Soll der Euro platzen, sollen die Schuldenmacher ausscheiden? Expertenmeinungen gibt es viele – welche ist aber die Richtige? Im „wahren“ Leben haben wir Entscheidungen zu treffen, die weniger komplex sind – doch selbst dann gestaltet sich die Entscheidungsfindung nicht als unproblematisch. Warum eigentlich?
Entscheidungen zu treffen – das stellt uns vor grundlegende Probleme. Und auf welcher Basis sollen wir Entscheidungen treffen? Glauben wir Prognosen, Expertenmeinungen oder fragen wir Freunde, Kollegen, Lebenspartner – oder hören wir gar auf unser Bauchgefühl?
Warum entscheiden so schwer ist
Frau Merkel hat das Entscheidungsproblem durch die Alternativlosigkeit gelöst. Wenn es immer nur eine Lösung gibt, ist man frei vom Entscheidungszwang – außer dem Nichtstun, das wäre noch eine Alternative. Als Otto-Normal-Bürger haben wir diese Möglichkeiten meist nicht. Meist müssen wir für unsere falschen Entscheidungen mit Hab und Gut gerade stehen. Ein Faktor, der uns die Entscheidungsfindung erschwert ist also die Unsicherheit – die Abwägung aus Nutzen und Risiko.
Die Expertenfalle
Aber es gibt doch Experten – werden einige sagen – die müssen es doch wissen. Doch Expertenmeinungen verschärfen da eher das Problem als dass Sie bei der Lösung helfen. Ein Paradebeispiel ist die gegenwärtige Eurokrise. Vom Pleitegehen, über den Euroaustritt bis zur aktuellen Eurobonds-Diskussion haben die Experten inkl. der sich – vermutlich – daraus ergebenen Prognosen alles parat. In vielen Fällen sind die Empfehlungen so konträr, dass man auch gleich würfeln kann. Oder holen Sie sich einen ärztlichen Expertenrat bzgl. einer Therapieempfehlung. Vermutlich werden Sie von Möglichkeiten erschlagen. Auf welcher Basis soll man also eine Entscheidung treffen?
Das rationale Buchgefühl
Je nach eigener Einschätzung suchen wir uns die Meinung heraus, die unsere Ausgangsmeinung bestätigt. Wir folgen quasi unreflektiert unserem Bauchgefühl und ersetzen Fakten mit Prognosen, Tatsachen mit Meinungen. Es ist aber auch nicht einfach im Gewusel der Meinungen, Prognosen und Tatsachen den Überblick zu behalten.
Damit sind wir bei einem Hauptproblem angekommen. Wir verstehen den Sachverhalt im Groben, aber reflektieren nicht bis in die Tiefe. Wir Menschen sind „Augentiere“ – d.h. wir nehmen unsere Umgebung gerne in Bildern wahr – darrum das Sprichwort „Ein Bild sagt mehr als tausend Worte“. Bilder sind eingängiger, da für die rechte Gehirnhälfte gut verständlich. Viele Entscheidungen werden aber auf der linken Seite unseres Gehirns im Bereich der Logik vorbereitet, werden aber auf der rechten Hemisphäre unseres Großhirns nicht mehr zugeordnet – somit entstehen Unsicherheit und Unverständnis. Die Folge ist, wir zögern mit unseren Entscheidungen oder lassen gar das ganze Vorhaben fallen. Wir lieben es, die Dinge als Ganzes zu erfassen und mit unseren Erfahrungen, die als Bilder abgespeichert wurden, zu vergleichen. Wird jedoch die Auswahl an Handlungs- / Entscheidungsalternativen unübersichtlich, dann weigert sich unser Denken etwas zu entscheiden oder gar zu tun – wir sind blockiert. Bei zu viel Wissen fällt es uns schwer zu entscheiden oder etwas umzusetzen. Die Qual der Wahl blockiert uns. Im Falle der Euro-Krise haben wir schlichtweg den Überblick verloren und neigen zu „einfachen“ Entscheidungen beziehungsweise Meinungen.
Die Kommunikationsfalle
Oftmals sehen wir notwendige Entscheidungen vor unserem inneren Auge, trauen uns aber nicht diese zu treffen. Wir suchen Rat bei einem Kollegen, Freund oder Lebenspartner – damit wird die Entscheidung von den Erfahrungen anderer beeinflusst. Kommunikation verhindert sehr oft zu erkennen, was das Richtige ist und wie man entscheiden sollte. Warum ist dies so? Wie wir schon gesehen haben, ist das Finden der richtigen Entscheidung nicht nur ein rationaler, sondern auch ein emotionaler Prozess – im Falle des Euros ist unsere Negativmeinung über den „Teuro“, die über Jahre entstanden ist und von den Medien gern und genüsslich in vielen Einzelheiten bedient wurde, die emotionale Seite, die nun an Stammtischen und in den Medien breitgetreten wird.
Die Prognosefalle
Zudem werden wir in jeder Woche mit einer neuen Prognose zum Euro beglückt. Jeden Tag eine neue Meldung über so wichtige Kennzahlen unserer Ökonomie und die der in der Krise befindlichen Staaten. Prognosen sind nicht unwichtig, Prognosen haben ihre Bedeutung. Die Frage ist vielmehr, wie gehen wir mit diesem Werkzeug um. Wie setzen wir Erkenntnisse aus den Prognosen in unser aktuelles, wirtschaftliches und persönliches Verhalten um. Prognosen nehmen uns die Angst vor dem Ungewissen und dienen zur Orientierung. Umso höher der Leidensdruck wird, desto mehr glauben wir den Prognosen oder Erfahrungen unserer Mitmenschen. Die Suche nach vermeintlicher Sicherheit, also einer Sicherheit, die es nicht gibt, verführt uns. Prognosen oder Erfahrungsberichte werden somit zum Alibi für unser Verhalten.
Was wir dagegen tun können
Doch was können wir dagegen tun? Wir müssen das Denken und Handeln in Einklang bringen. Denn das Richtige zu tun wird überlagert von dem Fehler, aus der Erfahrung heraus die Entscheidungen der Vergangenheit als doch klar und eindeutig zu interpretieren. Ein Beispiel: Plötzlich hat jeder gewusst, dass die Banken mit ihren Produkten und ihrem Verhalten eine Immobilienblase produzieren und somit Billionen von Verlusten weltweit produzieren – jeder hat auch gewusst, dass die Unternehmen dieser Krise nicht Stand halten werden – usw. Heute ist jeder schlauer und jeder weiß, was eigentlich geschehen war – wissen wir es aber wirklich und vor allem führt diese Verhalten nicht zu einer Selbstüberschätzung, die zu einer nächsten Krise führen kann?
Die aktuelle Situation in einzelnen EU-Staaten lässt dies befürchten. Eine Euphorie der Selbstüberschätzung in Politik und Gesellschaft aber auch bei Unternehmen und Privatpersonen basiert nicht selten auf diesem Rückschaufehler, der uns alles so klar und nachvollziehbar erscheinen lässt, so dass wir den Weg zum Richtigen nicht mehr erkennen können. Es gibt Kräfte in uns, welche aus der Evolution unserer Entwicklung entstanden sind, die es uns schwer machen, das Richtige zu erkennen und dann auch zu tun. Dabei sind zwei Antagonisten am Werk – das Denken und das Handeln – diese müssen in Einklang gebracht werden, was schwer genug ist.
Winfried Neun
Warum es uns so schwerfällt, das Richtige zu tun
Die Psychologie der Entscheidungen
BusinessVillage Juli 2011
ISBN : 978-3-86980-112-4
Der Autor
Winfried Neun ist einer der bekanntesten und profiliertesten Innovationsberater Deutschlands. Als Gründer und Geschäftsführer der K.O.M.® Kommunikations- und Managementberatung verfügt Winfried Neun über die Erfahrungen von mehr als 20 Jahren selbstständiger Beratungstätigkeit. Er ist gefragter Referent auf Kongressen und Symposien, Fachautor in namhaften Printmedien sowie im Fernsehbereich und in diversen mittelständischen Unternehmen als Beirat aktiv.