Nichts gegen den Beruf des Tennislehrers: Er ist relativ risikoarm, trägt zur Fitness bei, führt zu angeregten Clubhaus-Gesprächen und bedeutet wahrscheinlich am Ende des Tages ein besseres Auskommen als das des ständig verklagten Finanzdienstleisters. Man kann verstehen, wenn der Finanzdienstleister angesichts ganz bestimmter jüngerer Rechtsprechung neidisch herüberäugt – denn wie hoch und erfüllbar sind die Anforderungen an die Nachhaltigkeit seines Verdienstes?
I. Risiken
Zunächst einmal haftet der Finanzdienstleister gegenüber dem Anleger auf Schadenersatz wegen Beratungsfehlers bzw. Verletzung des Auskunftsvertrages auf Grundlage des fehlerhaften Prospekts. Denn er muss dem Anlageinteressenten für seine Beitrittsentscheidung ein zutreffendes Bild über das Beteiligungsobjekt vermitteln, d.h. er muss den Anlageinteressenten über alle Umstände, die für die Anlageentscheidung von wesentlicher Bedeutung sind oder sein können, insbesondere über die mit der angebotenen speziellen Beteiligungsform verbundenen Nachteile und Risiken zutreffend, verständlich und vollständig aufklären (BGH II ZR 140/03, Urt. vom 21. März 2005; BGHZ 79, 337, 344; Urt. v. 29. Mai 2000 – II ZR 280/98, ZIP 2000, 1296, 1297; v. 7. April 2003 – II ZR 160/02, WM 2003, 1086, 1088; v. 7. Juli 2003 – II ZR 18/01, ZIP 2003, 1536, 1537; v. 19. Juli 2004 – II ZR 354/02, ZIP 2004,1706, 1707).
Bevor der Finanzdienstleister an den Interessenten herantritt, hat er die betreffende Kapitalanlage nebst Prospekt gewissenhaft und umfassend auf die wirtschaftliche Plausibilität und Risiken zu prüfen. Er hat dem Interessenten auch mitzuteilen, wenn er die eigenständige Risikoprüfung nicht vorgenommen hat. Ist der Prospekt fehlerhaft, so hat der Finanzdienstleister die betreffenden Fehler gegenüber dem Anlageinteressenten richtig zu stellen (BGH III ZR 62/99, U. v. 13. Januar 2000, BGH III ZR 381/02, U. v. 11.9.2003; BGH III ZR 278/95, U. v. 12. Juni 1997).
Im Klartext bedeutet dies zum einen, dass der Finanzdienstleister klüger bzw. besser sein muss als der Emissionsprospekt, da er – will er sich nicht der Haftung wegen Beratungsverschuldens bzw. Verletzung des Auskunftsvertrages aussetzen – die Prospektfehler erkennen und gegenüber dem Anlageinteressenten korrigieren muss.
Was dies in puncto wirtschaftliche Plausibilität bedeutet, ist bislang in der höchstrichterlichen Rechtsprechung allerdings nicht geklärt. Geklärt ist nur, dass darüber aufgeklärt werden muss, wenn eine Anlage nicht wirtschaftlich plausibel ist. Nur wer hat dies zu entscheiden? Ein Gutachter im Gerichtsprozess? Ist erst ab einer entsprechenden gerichtlichen Feststellung ein Fondskonzept wirklich unplausibel? Und wenn man einen Gutachter benötigt, um es festzustellen, wie soll es dann der Finanzdienstleister ohne Gutachter erkennen? Und muss der Finanzdienstleister überhaupt noch in die Prüfung der wirtschaftlichen Plausibilität einsteigen, wenn ein (positives) IDW S4-Gutachten vorliegt? Und wird die mangelnde wirtschaftliche Plausibilität nicht allzu häufig im Nachhinein festgestellt (ex post), wobei sie doch eigentlich in der Beratungssituation (ex ante) gegeben sein müsste?
Hinsichtlich der zu prospektierenden Risiken ist dies nicht minder schwer. Der BGH erweitert bzw. „konkretisiert“ den Pflichtenkreis zur ordnungsgemäßen Risikoaufklärung (über alle Risiken vollständig) fortlaufend. In den letzten Jahren hat der BGH beispielweise nach und nach entschieden, dass über das Totalverlustrisiko aufzuklären ist (in der Intensität abhängig vom konkreten Beratungsbedarf des Interessenten), über Zweifel mit der Vereinbarkeit einer Vermögensanlage mit dem KWG (wobei Professoren-Gutachten als Vorabversicherung nicht ausreichen), dass mit abstrakten Erfahrungswerten nicht geworben werden darf, dass und welche Negativpresse beachtet werden muss, dass bankgebundene Anlageberater über Kickbacks aufklären müssen, dass über wesentliche Investments konkrete Ausführungen im Prospekt enthalten sein müssen, dass optimistische Prognosen über den Verlauf einer Kapitalanlage (nur) dann zulässig sind, wenn sie auf Tatsachen basieren und sorgfältig ermittelt sind etc.
Nach und nach verdeutlicht der BGH also, worauf der Finanzdienstleister achten muss. Bizarr daran ist, dass der Finanzdienstleister – zumindest in Bezug auf einige bestimmte Pflichten, die ihm nicht sofort ins Auge springen, da er in der Regel kein BGH-Richter ist – nicht nur künftig darauf achten muss, sondern auch für die Vergangenheit haftet. Denn wer glaubt, dass eine neu konkretisierte Pflicht möglicherweise bereits verjährt ist, hat die Rechnung ohne die Jurisdiktion gemacht. Im Gegensatz zu der Haftung der Prospektverantwortlichen (Prospekthaftungsansprüche im engeren Sinn verjähren in einem Jahr seit dem Zeitpunkt, in dem der Gesellschafter bzw. Anleger von dem Prospektfehler Kenntnis erlangt, spätestens jedoch drei Jahre nach dem Abschluss des Gesellschafts- oder Beitrittsvertrages; vgl. BGH II ZR 15/08, U. vom 7. Dezember 2009) gilt: Jede einzelne Pflichtverletzung ist mit weiteren Nachteilen für das Vermögen des Gläubigers verbunden. Das rechtfertigt es, sie verjährungs-rechtlich selbständig zu behandeln. Die kenntnisabhängige regelmäßige Verjährungsfrist des § 195 BGB berechnet sich daher für jeden Beratungsfehler gesondert (BGH III ZR 169/08, U. v. 19. November 2009). Es ist also nunmehr möglich, dass im Jahre 2004 ein Prozess geführt, in diesem über den kompletten äußeren Geschehensablauf Beweis erhoben und keine Pflichtverletzung festgestellt wird, woraufhin der Finanzdienstleister gewann. Danach kann in 2010 ein neuer Prozess geführt werden zwischen denselben Parteien und mit demselben einheitlichen Geschehensablauf, allerdings gestützt auf eine „neue“ Pflichtverletzung, die der BGH beispielsweise im Jahre 2008 konkretisiert hat.
Ebenso ist bedenklich, dass der Finanzdienstleister regelmäßig durch den Handelvertretervertrag an das Prospekt- und sonstige Informationsmaterial gebunden ist und ihm zumeist untersagt wird, anderes Aufklärungs-material zu nutzen. Ist der Prospekt dann allerdings fehlerhaft, ergibt sich die Haftung des Finanzdienstleisters gerade aus der vertraglichen Direktive, und er kann sogar noch in Anspruch genommen werden, wenn die Prospekthaftung im engeren Sinn gegenüber dem Prospektverantwortlichen bereits verjährt ist.
Bleibt für den Finanzdienstleister die Hoffnung auf die Übergabe und Quittierung der Kenntnisnahme eines fehlerfreien Anlageprospekts? Dies ist zwar ein schöner Gedanke, immerhin wäre die vom Anleger selbst erstellte Urkunde (z.B. eine separate Kenntnisnahmebestätigung) ein förmliches Beweismittel im Sinne der ZPO) und zumeist erkennt auch das verbraucherfreundliche Gericht, dass vorformulierte Bestätigungen durchaus verwertbar sein können und nicht zwingend gegen die AGB-Vorschriften verstoßen müssen; schließlich sind – in anderen Bereichen gesetzlich vorgeschriebene – Beratungsprotokolle zwangsläufig vorformuliert und ist noch niemand auf den Gedanken gekommen, nicht gelesene und verstandene Sicherungsabreden in Muster-Darlehensverträgen als nichtig anzusehen oder Wählerstimmen auf vorgefertigten Wahlzetteln allein deswegen zu ignorieren. Mithin könnte man argumentieren, dass derjenige Anleger selbst schuld ist, welcher die Kenntnisnahme der Risiken im Prospekt bzw. die Prospektübergabe urkundlich macht, dann aber nicht in den fehlerfreien Prospekt hineinschaut, was wiederum den Finanzdienstleister jedenfalls nach Ablauf der Regelverjährungsfrist wegen grob fahrlässiger Unkenntnis des Anlegers entlastet. Falsch gedacht: Denn eine grob fahr-lässige Unkenntnis des Beratungsfehlers eines Anlageberaters oder der unrichtigen Auskunft eines Anlagevermittlers ergibt sich nicht schon allein daraus, dass es der Anleger unterlassen hat, den ihm überreichten Emissionsprospekt durchzulesen und auf diese Weise die Ratschläge und Auskünfte des Anlageberaters oder Vermittlers auf ihre Richtigkeit hin zu kontrollieren (BGH III ZR 249/09, U. v. 8. Juli 2010).
Und wer glaubt, der Anleger müsse wenigstens dann in einen Anlageprospekt schauen, wenn er darüber aufgeklärt wird, dass der Finanzdienstleister ihn auf der Grundlage eines fehlerhaften Prospekts aufgeklärt hat, denkt ebenfalls falsch: Denn erhält ein Kapitalanleger Kenntnis von einer bestimmten Pflichtverletzung des Anlageberaters oder -vermittlers, so handelt er bezüglich weiterer Pflichtverletzungen nicht grob fahrlässig, wenn er die erkannte Pflichtverletzung nicht zum Anlass nimmt, den Anlageprospekt nachträglich durchzulesen, auch wenn er bei der Lektüre des Prospekts Kenntnis auch der weiteren Pflichtverletzungen erlangt hätte (BGH III ZR 203/09, U. v. 22. Juli 2010).
Vielleicht denkt sich der mutige, klügere und bessere (als der Prospekt) Finanzdienstleister sodann, es wäre sinnvoll – oder zumindest doch unschädlich –, dem Anleger den vielleicht falschen Prospekt gar nicht zu übergeben und lieber alles korrekt mündlich zu erläutern. Daran dachte der BGH auch schon, und zwar so: Ein Prospektfehler ist auch dann ursächlich für die Anlageentscheidung, wenn der Prospekt entsprechend dem Vertriebskonzept der Anlagegesellschaft von den Anlagevermittlern als alleinige Arbeitsgrundlage für ihre Beratungsgespräche benutzt wird. Es kommt bei dieser Sachlage nicht darauf an, ob der Prospekt dem Anlageinteressenten übergeben worden ist (BGH II ZR 21/06, U. v. 3. Dezember 2007).
II. Zwischenergebnis
Alsdann lehnt sich der Finanzdienstleister zurück und resümiert:
1. Ein fehlerhafter Prospekt kann Grundlage für Haftung sein, wenn er nicht einmal übergeben bzw. gelesen wird. 2. Selbst der fehlerfreie Prospekt muss nicht gelesen werden, wenn und weil der Anleger dem persönlich anwesenden Vermittler vertraut. 3. Für jede neu entdeckte Pflichtverletzung beginnt die Verjährung ebenso neu. 4. Das gilt selbst dann, wenn der Anleger bereit Kenntnis von bestimmten anderen Prospektfehlern hat. 5. Was kostet eine Tennislehrerlizenz?
III. Chancen
Die zwei entscheidenden Komponenten sind einerseits die Güte der Produktmaterialien (Prospekt, Zeichnungsschein einschließlich Widerrufsbelehrung, etwaige vorgegebene Beratungsprotokolle) und andererseits das Know-how des Finanzdienstleisters. Rechtsprechungsoptimierte Protokolle und Abläufe bei der Vermittlung sind wichtig, ebenso wie Fortbildungen zu aktuellen Anforderungen. Beispielsweise kann es für grobe Fahrlässigkeit und damit für Verjährung sprechen, wenn das Beratungsprotokoll Platz für eine handschriftliche Zeile des Anlageinteressenten lässt, der eigenhändig bestätigt, den Prospekt erhalten oder die Risiken zur Kenntnis genommen zu haben. Als Anlageinteressent selbst zu schreiben, wiegt im Hinblick auf den Sorgfaltspflichtverstoß deutlich schwerer als Formulare zu unterschreiben. Ferner bieten viele Widerrufsbelehrungen Optimierungspotenzial: Von zehn verschiedenen geschlossenen Fonds weisen etwa vier eine Widerrufsbelehrung auf, die auf Fernabsatz zugeschnitten ist, aber in einer Haustürsituation verwendet wird und damit fehlerhaft ist.
Wer als Finanzdienstleister das nötige Know-How hat oder sich verschafft, wird mit guten Produkten (möglichst fehlerfreie Prospekte, verwertbare Protokolle) in den nächsten Jahren ein deutlich größeres Marktsegment beherrschen: Denn der Markt wird nicht kleiner, der Kreis der Finanzdienstleister indes schon. Man kann die deutliche Tendenz des BMF erkennen, dass der Vertrieb kontrollierter werden soll. Der Zweck ist faktisch das Verschwinden der fragwürdigen Finanzdienstleister und ihrer Methoden bei gleichzeitiger Intensivierung gewerberechtlicher Aufsicht und der Haftpflichtversicherungsquote. Parallel dazu wird die BaFin Prospekte in naher Zukunft auf Kohärenz prüfen und so die Seite der Produktgeber wieder ein Stück mehr inhaltlich reglementieren.
Für die Branche wird es relativ steinig, sich gemäß aktueller Rechtsprechung zu verhalten und sich gegenüber institutionellen Anbietern oder Vertrieben möglichst un-abhängig zu behaupten, was jedoch nicht unmöglich ist. In den nächsten drei Jahren wird der Finanzdienstleister erkennen, dass das Modell „Rein-Raus-Mickey-Mouse“ oder das Ausweichen auf vermeintlich weniger risikoträchtige „Investments“ ohne – hoffentlich – Prospektpflicht, aber mit ebenfalls hohen Anforderungen an die Aufklärung des Anlegers (z.B. BHKW, Edelmetalle) weniger tragbar ist als bisher. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich allmählich ein neuer, auch altersmäßig neuerer Typus an Finanzdienstleister bildet bzw. durchsetzt: Nicht nur ergebnis-, sondern auch (dienst-) leistungsorientiert, rechtlich gebildet, vernetzt, gewerblich beaufsichtigt, besonders versichert, über größere Marktanteile verfügend, da überholend und den alten Typus verdrängend. Survival Of The Fittest eben.
Rechtsanwalt Daniel Blazek
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Die Rechtsanwälte Blazek Ellerbrock Malar Trube sind vornehmlich auf den Gebieten des Bank- und Kapitalmarktrechts, des Rechts der Finanzdienstleister und des Wirtschaftsstrafrechts bundesweit tätig. Jeder der Sozien verfügt über die Erfahrungen aus mehreren Hundert Verfahren für diverse Kapitalanlageunternehmen und Vertriebe. Die Sozietät hat zwei Standorte: Markdorf und Bielefeld.