Italiener stimmen mit „Nein“ – Mögliche Auswirkungen auf die Märkte und Anlageklassen

euvan Nieuwenhuijzen, Chefstratege: „Zunächst einmal die gute Nachricht: Das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen in Österreich ist ein Hoffnungsschimmer, zumal in den kommenden Monaten noch zahlreiche Wahlen in Europa anstehen. Es zeigt zumindest, dass populistische Bewegungen bei Wahlen – verglichen mit den Umfragen – nicht immer einen Vorsprung haben. Das Referendum in Italien dagegen überraschte in dieser Richtung; der Abstand zugunsten der Gegner der Verfassungsreform war bei einer hohen Wahlbeteiligung sehr viel größer als erwartet.“

 

„Bei dem Referendum ging es um eine Verfassungsänderung, die das Regierungssystem des Landes vereinfachen sollte. Es wurde aber weithin als Vertrauensvotum für Premierminister Renzi angesehen. Insofern kann es als weiterer Beleg für den zunehmenden Einfluss des Populismus angesehen werden.“

 

„Da Premierminister Renzi kurz nach der Bekanntgabe der Ergebnisse zurücktrat, ist das Risiko von vorgezogenen Neuwahlen (zweite Jahreshälfte 2017) gestiegen. Angesichts der derzeitigen Sitzverteilung im Parlament gehen wir jedoch in unserem Basisszenario nach wie vor davon aus, dass eine neue Regierung unter einem neuen Premierminister (wahrscheinlich Padoan) im Parlament eine Vertrauensabstimmung gewinnen sollte.“

 

„Die neue Regierung wird vor allem den Haushalt für 2017 verabschieden und das Wahlgesetz („Italicum“) so ändern wollen, dass der Mehrheitsbonus verringert wird. Außerdem wird die neue Regierung – wahrscheinlich innerhalb weniger Wochen – eine Lösung für das Problem der notleidenden Kredite im Bankensystem finden müssen. Ansonsten könnten nach zunächst ein bis zwei Tagen mit stärkeren Kursschwankungen dauerhaftere Nachteile für die Märkte eintreten. In einem solchen, unwahrscheinlichen Fall könnten sich die ungünstigen Wechselwirkungen zwischen politischer Lähmung und geringer Wachstumsdynamik verstärken, was den Populisten noch mehr Zulauf verschaffen könnte.“

 

„In dem unwahrscheinlichen Fall, dass es zu vorgezogenen Neuwahlen kommt, besteht das Risiko einer M5S-Mehrheit im Abgeordnetenhaus. Der Senat würde dagegen entsprechend der derzeitigen rechtlichen Lage weiter arbeiten. Dies würde vor allem zu einer noch stärkeren politischen Lähmung führen, aber Italiens Mitgliedschaft im Euroraum wohl nicht ernsthaft gefährden.“

 

Emerging Markets

Maarten-Jan Bakkum, Senior Emerging Markets Stratege: „Bisher haben sich die Märkte unbeeindruckt davon gezeigt, dass der Abstand zwischen den Befürwortern und Gegnern im Referendum größer als erwartet war. Das ungünstige Ergebnis war anscheinend eingepreist. Damit ist ein Risikoaversionsschock an den globalen Märkten aufgrund der Entwicklungen in Italien zumindest vorerst nicht sehr wahrscheinlich. In Italien bleiben die Risiken hoch, aber solange es nicht zu wesentlichen Kursbewegungen des Euro kommt, dürften die Schwellenländer durch die Probleme in Italien und im Euroraum nicht unter nennenswerten zusätzlichen Druck kommen. Europa ist für Asien der wichtigste Handelspartner, weshalb der Euro und die Wachstumsaussichten in Europa genau im Blick behalten werden müssen.“

 

„Derzeit sind die US-Renditen (wenn die Renditen ansteigen, gerät der Schwellenländer-Carry-Trade stärker unter Druck) und die Entwicklung in China (diese Woche dürften die Devisenreserven niedriger ausfallen, was zu neuerlicher Sorge wegen möglicher Kapitalabflüsse aus China führen könnte) die wichtigsten Faktoren für die Schwellenländer. Zunehmende Belege für eine restriktivere Politik in China dürften noch mehr Zweifel daran aufkommen lassen, ob Chinas bisherige Wachstumsraten auch in der ersten Jahreshälfte 2017 andauern können.“

 

European High Yield

Sjors Haverkamp, Head of European High Yield: „Das Ergebnis des Referendums in italien dürfte nach einem ersten Rückgang der Risikobereitschaft auf der Sell Side nur moderate und handhabbare Auswirkungen auf die europäischen High-Yield-Märkte haben. Italienische Papiere machen 10% des europäischen und 4% des globalen High-Yield-Universums aus. Bei den meisten italienischen Emittenten handelt es sich um große Unternehmen, die zumeist geografisch diversifiziert sind und einen stabilen Cash-Flow sowie hinreichende Liquidität aufweisen. Das Referendumsergebnis dürfte sich vor allem auf den in gewisse Schwierigkeiten geratenen Finanzsektor auswirken, wobei die meisten Banken jedoch über ein Investment-Grade-Rating verfügen.“

 

Investment Grade Credit

Roel Janssen, Co- Head of Euro Investment Grade Credit: „Dass die Verfassungsreform im Referendum abgelehnt werden und Premierminister Renzi zurücktreten würde, wurde von den Märkten bis zu einem gewissen Grad erwartet. Daher sind die negativen Auswirkungen auf die Märkte für Investment-Grade-Unternehmensanleihen moderat. Da die Umfragen bereits auf das Risiko eines „Nein“ hingewiesen hatten, werden die Marktbewegungen nunmehr von drei Punkten abhängen.“

 

„Die erste wichtige Entwicklung sind die Auswirkungen auf die italienische Politik. Baldige Neuwahlen wären sicherlich negativ; die Bildung einer Übergangsregierung würde dagegen dafür sorgen, dass der Status quo bestehen bleibt, was zu einer Stabilisierung der Märkte für Unternehmensanleihen beitragen könnte. Der zweite Punkt sind die Auswirkungen auf die Bankenrekapitalisierung. Wenn die derzeitigen Bemühungen um eine Rekapitalisierung der Banca Monte die Paschi scheitern, könnten die Anleiheinhaber in Anspruch genommen werden und es könnte zu Ansteckungseffekten an den Märkten für Unternehmensanleihen kommen. Bei einer erfolgreichen Rekapitalisierung oder falls die EU eine Ausnahme von den Regeln für staatliche Unterstützung zulässt, wäre dagegen eine günstigere Entwicklung möglich. Und drittens wird die EZB am Donnerstag, dem 8. Dezember, ihre nächste geldpolitische Entscheidung bekanntgeben. Einige Marktteilnehmer rechneten damit, dass die EZB ihre monatlichen Käufe im Rahmen des Asset Purchase Programme im kommenden Jahr reduzieren würde. Wenn sie aber – vielleicht nicht zuletzt aufgrund des Referendumsergebnisses in Italien – das monatliche Kaufvolumen unverändert ließe und einige Regeln des Programms lockerte, um sich mehr Spielraum für eine Fortführung der Käufe auf dem derzeitigen Niveau zu verschaffen, wäre dies positiv für die Märkte und die Stimmung im restlichen Jahresverlauf.“

 

„Kurz, die Märkte für Investment-Grade-Unternehmensanleihen haben das Referendumsergebnis bisher gut verkraftet. Nun hängt es in hohem Maße von der politischen Entwicklung in Italien, von der Lage im italienischen Bankensystem und von der EZB ab, ob das Referendum die Märkte spürbar beeinflusst oder nicht.“

 

 

Global Fixed Income

Hans van Zwol, Senior Portfolio Manager Global Fixed Income: „Im Referendum lehnten die Italiener die vorgeschlagenen Verfassungsreformen klar ab.  Premierminister Renzi hat gegenüber dem italienischen Präsidenten seinen Rücktritt erklärt. Nun sind mehrere politische Szenarien möglich, und es ist unklar, wie sich die Lage entwickeln wird.“

 

„Bisher ist die Marktreaktion moderat ausgefallen. Die Renditedifferenz zwischen zehnjährigen italienischen Staatsanleihen und ihren deutschen Pendants weitete sich heute morgen zunächst um 0,14% aus, liegt aber inzwischen wieder beinahe auf dem Stand der vergangenen Woche. Panikreaktionen oder eine ausgeprägte Flucht in sichere Vermögenswerte sind eindeutig nicht zu erkennen. Aufgrund der Sorge um einige schwache italienische Banken haben sich die Spreads im Finanzsektor ausgeweitet, aber auch dort ist keine starke Bewegung zu erkennen.“

 

„Längerfristig gibt es für die Finanzmärkte durchaus Anlass zur Sorge. Bei Neuwahlen könnte die euroskeptische Fünf-Sterne-Bewegung an die Macht gelangen. Bei einem politischen Durchwursteln, z.B. im Falle einer Übergangsregierung oder einer anderen kurzfristigen Lösung, dürfte Italiens Konjunktur wegen des Mangels an Reformen weiterhin lahmen.“

 

„Italiens Risikoprämien gegenüber den europäischen Staatsanleihen mit den besten Ratings erscheinen zwar attraktiv und das EZB-Kaufprogramm für Staatsanleihen bietet einen gewissen Puffer. Dennoch ist es unseres Erachtens sinnvoll, vorsichtig in Bezug auf italienische Staatsanleihen zu sein, bis mehr Klarheit über die politische Entwicklung herrscht.“

 

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