Das Berliner Unternehmen profitiert von der Teilliberalisierung in Deutschland und der Expansion ins Ausland. Trotz politischer Risiken gilt die Aktie für mutige Anleger als Kauf.
Schlaflose Nächte gehören zu den Erfahrungen, die viele Vorstandsvorsitzende angesichts ihrer Verantwortungen gegenüber Aktionären und Mitarbeitern machen.
Philip Schetter, CEO des Berliner Start-ups Cantourage, ist da keine Ausnahme. Nur seine Medikation, um sich in den verdienten Schlaf wiegen zu können, ist eher ungewöhnlich. „Ich bin Cannabis-Patient. In sehr stressigen Zeiten hilft mir Cannabis beim Schlafen“, bekennt der Chef . Schließlich ist Cantourage der Branchenpionier für Cannabis-Produkte in pharmazeutischer Qualität. Das Unternehmen produziert und vertreibt Arzneimittel auf der Basis von Cannabis.
Ruhelos hat den Chef der Cantourage Group SE vermutlich auch der Aktienkurs gemacht. „Der Aktienkurs reflektiert nicht unbedingt die starke Unternehmensentwicklung“, sagt der Wirtschaftsingenieur 41 Jahre vorsichtig. Seit dem Börsengang in Frankfurt im Herbst 2022 ging es mit der Cantourage-Aktie bergab.
Cantourage Group SE
Der Kursverlust beträgt rund 75 Prozent seit dem IPO. Wie in anderen Fällen auch hat sich das Wachstumsthema Cannabis für viele Anleger als Rohrkrepierer erwiesen.
Cannabis-Liberalisierung gibt der Branche für Medizinalpräparate und Arzneimittel neuen Schub
Doch die Liberalisierung von Cannabis im April 2024 durch die Ampel-Koalition in Berlin gibt der Branche für Medizinalpräparate und Arzneimittel auf der Grundlage von Cannabis neuen Schub. „Im Bereich Medizinisches Cannabis bin ich zufrieden mit der Politik. Wir haben hierzulande eine gute, stabile Regulatorik“, sagt Schetter, der seit 2022 das Unternehmen führt. Die Teillegalisierung hat Cantourage und der gesamten Branche in die Hände gespielt. „Durch die Teillegalisierung sind viele Berührungsängste von Ärzten und Apothekern weggefallen. Nun ist es für Patienten leichter geworden, Ärzte zu finden, die Cannabis-Medikamente auch verschreiben und auch Apotheken, die Cannabis abgeben“, berichtet Schetter. Die Gesetzesänderung sei für sein Unternehmen ein „Katalysator in Deutschland“.
„Es wird ein Milliardenmarkt in Deutschland in den nächsten zwei bis drei Jahren“, PHILIP SCHETTER, CEO Cantourage Group SE
Cannabis-Mittel helfen gegen Schmerzen
Der Branchenpionier verarbeitet das Rohmaterial Cannabis und die Extrakte weiter. Das Unternehmen wurde von Norman Ruchholtz, Florian Holzapfel und Patrick Hoffmann gegründet. Cannabis heilt zwar nicht, hilft aber gegen Krankheitssymptome wie zum Beispiel Schmerzen oder Angststörungen. Denn Cannabis hat vergleichsweise wenige Nebenwirkungen.
Nach Marktschätzungen nehmen etwa zwei Drittel der Patienten Cannabis-Produkte, um Schmerzen zu bekämpfen. Bereits die Äbtissin Hildegard von Bingen schätzte im 12. Jahrhundert das gesunde Naturprodukt.
Cantourage hatte im vergangenen Jahr seine Prognose übertroffen. Die Erlöse stiegen um 118 Prozent auf 51 Millionen Euro. Der Gewinn vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) soll nach Unternehmensangaben zwischen drei und vier Millionen Euro liegen. Die zuletzt starken Zahlen sorgen für große Zuversicht. Für das Jahr 2025 erwartet Tim Kruse vom Hamburger Analysehaus Montega einen Umsatz von 66,6 Millionen Euro. Das Ebitda würde 6,7 Millionen Euro betragen.
„Mit der erwarteten Ergebnisentwicklung dürfte Cantourage auch international eines der wenigen profitabel agierenden Unternehmen in dieser Branche sein und dadurch zunehmend Aufmerksamkeit auf sich ziehen“, prognostiziert Analyst Kruse. Die Analysten von Montega und Nuways empfehlen daher die Aktie zum Kauf. Beiden hatten zuletzt das Kursziel auf 11,50 Euro erhöht.
Der Anteil der frei handelbaren Aktien beträgt rund 28 Prozent. Die restlichen Anteile halten die Hauptgründer Florian Holzapfel und Patrick Hoffmann mit 60 Prozent. Der Wagniskapitalgeber VC Big Health ist mit zwölf Prozent von der Partie.
Markt wächst stark
Die Aussichten für Cantourage sind unterdessen vielversprechend. Das bereits im Jahr 2019 gegründete Unternehmen wird von der steigenden Nachfrage nach medizinischem Cannabis profitieren. Schließlich ist Cantourage im Markt gut positioniert.
„Es wird ein Milliardenmarkt in Deutschland in den nächsten zwei bis drei Jahren“, sagt der CEO. „Der Markt ist 2024 jährlich um 70 bis 80 Prozent gewachsen. Das Wachstum könnte auch im Jahr 2025 anhalten.“ Der European Cannabis Report schätzt den Gesamtumsatz in diesem Jahr auf 2,6 Milliarden Euro. Gelingt Cantourage zudem die internationale Expansion, könnte es mit der Aktie schnell bergauf gehen.
In Polen und Großbritannien vertreiben die Berlin bereits ihre pharmazeutischen Produkte auf Cannabis-Basis. Nun nehme man die Märkte in Frankreich, Spanien und Italien ins Visier. Denn das Geschäftsmodell ist skalierbar.
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Politisches Risiko nicht unterschätzen
Die Cantourage Group SE, die zum ersten Mal einen operativen Gewinn für das Jahr 2024 erwartet, besitzt allerdings ein politisches Risiko. Denn eine (Teil-) Rücknahme der Teilliberalisierung von Cannabis kann nach der Bundestagswahl nicht ausgeschlossen werden, insbesondere wenn es einen Rechtsruck in Deutschland geben sollte.
Die CDU/CSU hatte die Teilliberalisierung von Cannabis scharf kritisiert. Das neue Cannabis-Gesetz sei „ein Schaden für das Land“, warnte CSU-Chef und bayerischer Ministerpräsident, Markus Söder.
Für Firmenchef Schetter muss die Liberalisierung hingegen noch sehr viel weiter gehen. „Es sollte ein Angebot geben, dass Cannabis ein legales Genussmittel ist. Dann sollten bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden, beispielsweise eine kontrollierte Abgabe über Apotheken“, wünscht sich der 41-Jährige. Betrachtet man aber die Wahlprognosen für die Bundestagswahl, dürfte sein Ansinnen in nächster Zukunft ein frommer Wunsch bleiben.