„Harte Landung“ nicht mehr abzuwenden?

Der aktuelle Neuwirth Finance Zins-Kommentar

Erst kürzlich veröffentlichte Eurostat die jüngsten Inflationsdaten und bestätigte den anhaltenden Abwärtstrend. In der Eurozone fiel die Inflation von 4,3 auf 2,9 Prozent und in Deutschland von 4,3 auf 3,0 Prozent. Noch gibt die Europäische Zentralbank (EZB) keine Anzeichen, die Zinsen zeitnah zu senken. Neuwirth Finance hat schon in vorherigen Zinskommentaren von etwaigen Deflationsrisiken gewarnt, sollte die EZB zu lange an den hohen Zinsen festhalten. Nun zeichnet sich immer stärker eine „harte Landung“ der europäischen Wirtschaft ab. Erfahren Sie in der heutigen Ausgabe des Zinskommentars, warum eine „harte Landung“ kaum noch abzuwenden scheint.

„Harte Landung“ nicht mehr abzuwenden?

Unter einer „harten Landung“ (hard landing) verstehen Volkswirte einen Einbruch bzw. Umkehr des Wirtschaftswachstums, verursacht durch straffe Geldpolitik und hohe Zinsen. Erst kürzlich wiegelte der Bundesbankpräsident Joachim Nagel ein derartiges Szenario noch mit den Worten ab: die Inflation sei ein „gieriges Biest“ ab. Doch dem Währungshüter könnten schon bald die Argumente ausgehen, denn wir sehen uns bereits – oder jedenfalls sehr bald – einem solchen Szenario ausgesetzt.

Setzt die Inflation das derzeitige Tempo fort, könnten die Preise schon im Dezember unter zwei Prozent sinken, womit das ausgesprochene Ziel der EZB erreicht wäre (Vgl. Abbildung 1). Dazu passt nicht, dass die Leitzinsen erst im September mit 4,5 Prozent ihren Höhenpunkt erreicht haben. Ein wesentlicher Teil der Zinserhöhung ist damit noch gar nicht in der Wirtschaft angekommen, weshalb die Preise wahrscheinlich weiter fallen, sollte die EZB nicht von ihrem derzeitigen geldpolitischen Kurs abrücken. Tatsächlich deutet einiges darauf hin, dass die Inflation schon bald an den Pfad vor der Coronakrise anknüpft.

Abbildung 1: Zins und- Inflationsentwicklung der Eurozone
Quelle: Eurostat (2023); eigene Darstellung

Die Preise fallen über alle Kategorien hinweg. Insbesondere die Energiepreise tragen mit -11,4 Prozent zu einer deutlichen Entspannung bei. Die größten Preistreiber bleiben die Dienstleistungs- und Lebensmittelpreise. Zwar liegt die Kerninflation mit 4,2 Prozent über der breit gefassten Inflation, jedoch ist auch hier ein sichtbarer Abwärtstrend zu beobachten. Die energieintensive Lebensmittelindustrie könnte schon bald von den niedrigeren Energiepreisen profitieren und damit im besten Fall der Verbraucher und die Kerninflation. Zudem verhalten sich immer mehr Konsumenten zurückhaltend. Der Umsatz im Einzelhandel, welcher fast 50 Prozent des gesamten Konsums ausmacht, fiel im September dieses Jahres zum dritten Mal in Folge. Dieses Umfeld lässt nur begrenzt weitere Preiserhöhungen zu, selbst wenn die Produktionskosten unerwartet steigen würden.

Symptomatisch für diese Entwicklung ist der Einbruch der Wirtschaftsleistung in der Eurozone (Vgl. Abbildung 2). Im 3. Quartal betrug das jährliche Wachstum 0,1 Prozent. Vor einem Jahr belief sich derselbe Wert noch auf 2,4 Prozent. Deutschland, Österreich, Irland, Tschechien und Estland befinden sich gar in einer Rezession. Lediglich ehemalige Sorgenkinder wie Belgien, Spanien, oder Portugal beeindrucken mit robusten Wirtschaftsdaten.

Abbildung 2: Wirtschaftswachstum in Deutschland und der Eurozone
Quelle: Eurostat (2023); eigene Darstellung

Es lässt sich nicht bestreiten, dass zumindest ein erhöhtes Risiko einer „harten Landung“ besteht. Schon 2025 könnte die Eurozone in eine deflationäre Phase rutschen und damit alte Gespenster wecken. Rein historisch und volkswirtschaftlich betrachtet, folgte auf eine Hochzinsphase immer eine konjunkturelle Abschwächung. Die Frage ist nur, wie „hart“ wird der Fall bzw. die Landung. Derzeit steuert die EZB ungeachtet der derzeitigen Entwicklung auf eine Bruchlandung.

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