Während der Europäische Gerichtshof (EuGH) noch über die Rechtmäßigkeit des Schufa-Scores und der Datenspeicherung entscheidet, überrascht die Schufa bereits mit neuen Plänen: Die frisch entwickelte App „Bonify“ ermöglicht Verbrauchern Einblicke in ihre gespeicherten Kreditdaten und Auskünfte zum sogenannten Basisscore. Zudem sollen ab 2024 für 90 Tage auch Einblicke in Bankkonten möglich sein, wenn die Nutzer zustimmen.
Die eigene Kreditwürdigkeit besser verstehen
Tanja Birkholz, die Vorstandsvorsitzende der Schufa, erläutert, dass der Basisscore ein zentraler Wert für die Bonitätseinschätzung ist. Je besser die Bonität eines Verbrauchers, desto näher liegt der Score-Wert bei 100. Über die App können Kunden bequem ihren Score-Wert auf dem Handy einsehen. Damit will die Schufa den Verbrauchern mehr Kontrolle über ihre Daten geben, wie Birkholz betont.
Trotz der versprochenen Vorteile, die eigene Kreditwürdigkeit besser zu verstehen, gibt es Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes und der Verwendung sensibler Daten. Verbraucher- und Datenschützer schlagen Alarm und kritisieren, dass die Maßnahmen in Wirklichkeit eher die Datenschutzrechte von Verbrauchern einschränken.
Die Bürgerinitiative „FINANZWENDE“ bezeichnet die App als „Trojanisches Pferd“ und kritisiert, dass „die Schufa versucht, Verbrauchern mit eventuell sinnvollen Funktionen die App unterzujubeln – um ihnen dann Angebote zur Verbesserung ihres Scores zu machen, etwa durch einen Kontoeinblick“, so Michael Möller, Referent für Verbraucherschutz bei FINANZWENDE. Zudem könnten Verbraucher angesichts der hohen Bedeutung einer guten Schufa-Bewertung für die Chancen auf eine Wohnung möglicherweise gezwungen sein, Einblicke in ihre Kontodaten zu gewähren und weitere Daten preiszugeben. Dies betrifft besonders vulnerable Personengruppen.
Kontozugriff durch Schufa: Ist hier eine Grenze nötig?
Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft die Sensibilität der Kontodaten. Die Offenlegung solcher Informationen könnte Rückschlüsse auf politische Überzeugungen oder Gewerkschaftszugehörigkeiten ermöglichen. Darüber hinaus könnten die Daten für unerwünschte Werbung oder gezieltes Marketing missbraucht werden. Bisher bleibt unklar, ob und wie die Schufa selbst diese hochsensiblen Informationen nutzen möchte.
Auch Verbraucherzentralen betrachten die Anwendung kritisch und raten dazu, persönliche Finanzdaten zu schützen. Dorothea Mohn von der Verbraucherzentrale Bundesverband warnt vor einem vollen Kontozugriff, da dies eine intensivere Durchleuchtung und Bewertung der Verbraucher zur Folge haben könnte, was die Privatsphäre gefährden würde. Zwar sei es „unkritisch, die App für das Abrufen einer kostenlosen Schufa-Auskunft zu nutzen, dem Kontozugriff zuzustimmen, würde sie allerdings niemandem empfehlen“, sagte Mohn gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Bereits jetzt wurden gravierende Sicherheitslücken in der App entdeckt. Hackern gelang es am Montag, eine Schwachstelle des Systems zu nutzen. Es konnten unberechtigt Mietbescheinigungen abgerufen werden, wie aus einem Bericht der Sicherheitsforscherin Lilith Wittmann aus dem Hackerkollektiv Zerforschung hervorgeht. Nachdem die Daten über das Bankident-Verfahren verifiziert wurden, war es möglich, diese für kurze Zeit über eine Programmierschnittstelle zu aktualisieren. Auf diese Weise erhielt die Hacker-Aktivistin den sogenannten Boniversum-Score des CDU-Politikers Jens Spahn, der der Mietbonitätsbescheinigung entspricht.
Die Bonify-App: Sicherheitslücken versus Transparenz
Trotz begründeter Sicherheitsbedenken bietet die Bonify-App den Kunden aber auch eine klare Stärke: Mit der Einführung der Bonify-App wird Kunden erstmals einen transparenten Einblick in ihre Kreditwürdigkeit und ihren Score-Wert ermöglicht. Diese Einblicke ermöglichen es den Nutzern, ihre finanzielle Situation besser einzuschätzen und gezielt Maßnahmen zur Verbesserung der Bonität zu ergreifen.
Die frühzeitige Erkennung und Korrektur von Fehlern in den Schufa-Daten ist ein weiterer Pluspunkt, um mögliche negative Auswirkungen zu verhindern. Zusätzlich ist die Nutzung der App kostenlos, wenngleich eine Registrierung bei der Schufa-Tochter Bonify erforderlich ist.
Darüber hinaus eröffnen sich durch die Bonify-App neue Chancen für eine verbesserte Verhandlungsposition bei Kreditanfragen. Informierte Kunden, die ihren Score-Wert verstehen, können möglicherweise bessere Konditionen bei Finanzdienstleistern aushandeln. Auch Personen mit begrenzter Kreditgeschichte könnten von erweiterten Zugriffen auf zusätzliche Finanzdaten profitieren und so den Zugang zu sonst möglicherweise unerreichbaren Finanzdienstleistungen erhalten. Doch Datenschutz und Transparenz sind entscheidende Faktoren, um die Rechte der Verbraucher zu schützen und das Vertrauen in die neue Anwendung zu gewinnen. Hierbei hat die Schufa definitiv noch Klärungsbedarf.
Große Widerstände gegen Kontodatenweitergabe
Schon im Jahr 2020 unternahm die Schufa einen Versuch namens „CheckNow“, um Zugang zu den Kontodaten der Verbraucher zu erhalten. Doch aufgrund massiver Widerstände gegen das Projekt wurden die Pläne vorerst auf Eis gelegt. Ähnlich steht es auch um den aktuellen Vorstoß zur Kontodatenweitergabe, der ebenfalls auf Widerstände stoßen könnte, wie eine Petition mit bereits 300.000 Unterschriften zeigt.
Ein weiterer Unsicherheitsfaktor betrifft die Zukunft des Schufa-Scores, der derzeit vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) geprüft wird. Eine Entscheidung des EuGH wird für Ende 2023 oder Anfang 2024 erwartet und könnte möglicherweise dazu führen, dass der Score komplett außer Kraft gesetzt wird. Sollten die EuGH-Richter einer entsprechenden Stellungnahme des EuGH-Generalstaatsanwalts folgen, würde dies das Ende des Schufa-Scores bedeuten.
Bis zur endgültigen Entscheidung bietet die Bonify-App Verbrauchern derzeit die Möglichkeit, ihre aktuelle Score-Situation besser zu verstehen und mögliche Fehler in den Schufa-Daten frühzeitig zu erkennen und zu korrigieren. Dennoch sollten Verbraucher die Nutzung der Anwendung wohlüberlegt angehen, da mögliche Risiken für die Privatsphäre derzeit nicht ausgeschlossen werden können.