Lässt sich das Inflationsziel nur mit einer Rezession erreichen?

Der aktuelle Neuwirth Finance Zins-Kommentar

Der sich abschwächende Inflationsdruck in Zusammenhang mit einer Entlastung auf dem Energiemarkt lässt viele Marktteilnehmer positiv in die Zukunft blicken. Doch das derzeitige makroökonomische Umfeld ist trügerisch, denn die fallenden Preise sind ein Symptom einer sich abschwächenden Konjunktur und einige Unsicherheiten bestehen noch immer. Erfahren Sie in der heutigen Ausgabe des Zinskommentars, warum die Eurozone schon bald in eine Rezession rutschen könnte.

Lässt sich das Inflationsziel nur mit einer Rezession erreichen?

Die sich durch alle Sektoren ziehende positive Stimmung deutet auf ein sich verändertes makroökonomischen Umfeld hin. Einer dieser bestimmenden Faktoren ist die Preisentwicklung. Nach Monaten zweitstelliger Inflationsraten lässt der Preisdruck langsam etwas nach. Im Dezember lag die Inflation in der Eurozone bei 9,2 Prozent und damit 1,4 Prozentpunkte niedriger gegenüber dem Höchststand von 10,6 Prozent im Oktober 2022. Eine ähnliche Entwicklung lässt sich auch in den USA beobachten. Hier stiegen die Preise zuletzt um 6,5 Prozent. Im Juni 2022 lag die Inflation noch bei fast 9,0 Prozent.

Einer der entscheidenden Faktoren für den nachlassenden Inflationsdruck ist die geldpolitische Ausrichtung der Zentralbanken. Erst kürzlich kündigte die Europäische Zentralbank (EZB) an den Leitzins; um abermals 50 Basispunkte auf heute 3,0 Prozent anzuheben. Für die nächste Sitzung in März wurde bereits eine weitere Anhörung um denselben Umfang verlautet. Ein ähnliches Tempo legt die amerikanische Notenbank (Fed) vor. Innerhalb eines Jahres stieg der Zinskorridor von 0,00 bis 0,25 Prozent auf 4,50 bis 4,75 Prozent. Die Entschlossenheit der Notenbanken ist vor allem damit begründet die eigene Glaubwürdigkeit in der Preissteuerung zu stärken. Verlieren Marktteilnehmer das Vertrauen in die Notenbanken drohen gesamte Volkswirtschaften zu versagen. Obwohl das Inflationsziel von 2,0 Prozent noch lange nicht erreicht ist, lässt die Entschlossenheit der Notenbanken schon jetzt etwas nach. Die EZB kündigte an ab März nur noch von Sitzung zu Sitzung und auf Basis der aktuellen Datenlage zu entscheiden. Die Fed hob ihren Zinskorridor zuletzt um nur noch 0,25 Prozentpunkte, nach Monaten von Zinserhöhungen von 50 oder 75 Basispunkten. Doch warum verlangsamen die Notenbanken angesichts einer immer noch hohen Inflation das Tempo?

Das bedachtere Vorgehen beruht insbesondere auf der Sorge einer bevorstehenden Rezession, denn das sich verändernde Zinsumfeld machen Konsum und Investitionen wesentlich teurer, womit der Wirtschaft der Wind aus den Segeln genommen wird. Das ließ sich bereits im 4. Quartal 2022 beobachten. In dem Zeitraum rutschte die deutsche Wirtschaft in eine leichte Rezession, was einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) gegenüber dem Vorquartal entspricht. Daten des ifo Instituts deuten darauf hin, dass dieser Trend anhalten wird. Die renommierte Forschungsanstalt erwartet für dieses Jahr ein Wirtschaftswachstum von -0,1 Prozent in Deutschland. Erst ab 2024 wächst die Wirtschaft hierzulande wieder um 1,6 Prozent. Für die gesamte Eurozone sind die Aussichten etwas besser. Hier erwartet die EZB ein Wirtschaftswachstum von 0,5 Prozent im Jahr 2023 und 1,9 Prozent im Jahr 2024.

Die Notenbanken scheinen zunehmend zögerlich in der Ausrichtung ihres Zinspfades. Von vielen Marktteilnehmern wird dies als positives Zeichen aufgenommen, weil die Inflation wieder unter Kontrolle zu sein scheint. Doch es darf nicht vergessen werden, dass die abnehmende Preisdynamik mit einer abschwächenden Konjunktur einhergeht. Außerdem stellt sich grundsätzlich die Frage, wie lange die europäische Wirtschaft nach einem Jahrzehnt von Niedrigzinsen ein derart straffes geldpolitisches Umfeld verkraftet. Es ist denkbar, dass die EZB schon ab 2024 die Zinsen wieder senken muss, um keine tiefere Rezession auszulösen.

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