Coaching und Check-up statt Firmenwagen?

„Wir müssen unsere Mitarbeiter individueller fördern, damit sie dauerhaft die gewünschte Leistung erbringen.“ Das haben viele Organisationen erkannt. Das spiegelt sich inzwischen zum Teil auch in ihren Vergütungssystemen wider.

„In den letzten ein, zwei Jahrzehnten hielten in der Privatwirtschaft aufgrund der veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und Arbeitsbeziehungen in den Unternehmen viele Verfahren Einzug, die ursprünglich im Non-Profit-Bereich zuhause waren“, sagt Claudia Christ, Spabrücken. Hierzu zählt laut Aussagen der Organisationsberaterin und Teamentwicklerin die sogenannte Supervision. Sie hat sich in den letzten 50 Jahren im sozialpädagogischen und -therapeutischen Bereich zu der Methode entwickelt, „mit der die dort Arbeitenden,

  • ihr berufliches Handeln reflektieren und
  • die Qualität ihrer Arbeit sichern“,

erläutert die Diplom-Psychologin, die selbst auch als Supervisorin tätig ist.

Mit Supervision bzw. Coaching die Qualität der Arbeit sichern

Wie groß die Bedeutung der Supervision im Non-Profit-Bereich als Instrument zur Qualitätssicherung ist, zeigt die Tatsache, dass in Stellenanzeigen für Sozialpädagogen, Familientherapeuten usw. oft explizit von den Bewerbern „die Bereitschaft zur Supervision“ gefordert wird. Doch nicht nur dies. Teilweise versuchen soziale Einrichtungen mit dem Hinweis, dass sie dem künftigen Stelleninhaber die Möglichkeit zur Supervision bieten, sich sogar als attraktive Arbeitgeber zu profilieren.

Manche in der Privatwirtschaft tätige Manager mag dies befremden. In einigen Jahren könnte aber auch in den Stellenanzeigen von Wirtschaftsunternehmen statt dem Hinweis auf den „repräsentativen Firmenwagen“ stehen „Wir bieten Ihnen die Möglichkeit zur Supervision“. Denn faktisch zählt die Supervision schon heute zu ihrem „gängigen Personalführungs- und -entwicklungsrepertoire“, betont die Wirtschaftspsychologin und Coachausbilderin Sabine Prohaska, Wien. Der einzige Unterscheid: In ihnen werden die Supervisionen zumeist Coaching oder Teamcoaching genannt – vermutlich auch wegen der oft noch bestehenden Vorbehalte gegen Non-Profit-Organisationen.

Das sieht auch der Organisationsberater Klaus Doll, Neustadt an der Weinstraße, so. Er führt den Boom, den die Supervisionsmethode, pardon das (Team-)Coaching in der Privatwirtschaft aktuell erlebt, unter anderem auf ein verändertes Managementdenken zurück. Lange Zeit wurden „Unternehmen weitgehend mit ihren Organigrammen gleichgesetzt bzw. den hierarchischen Strukturen, die diese widerspiegeln. Außerdem wurden die Mitarbeiter als „isolierte, weitgehend auf ihre Funktion beschränkte Einheiten gesehen“. Übersehen wurde dabei, so Doll, „dass sich die Energie eines Unternehmens primär aus den Arbeits- und Kommunikationsbeziehungen speist, die die Mitarbeitenden miteinander und das System Unternehmen mit seiner Außenwelt verbinden.“

Das Management- und Führungsverständnis ändern sich

Dies wurde inzwischen den meisten Unternehmensführern bewusst. Deshalb forcierten sie die Team- und Projektarbeit. Dadurch veränderte sich auch die Funktion der Führungskräfte. Es entwickelte sich zunehmend zu einer ihrer Kernaufgaben, die Beziehungen

  • zu ihren Mitarbeitern,
  • zwischen ihren Mitarbeitern und
  • zu den anderen Unternehmensbereichen

so zu gestalten, dass eine möglichst effektive Zusammenarbeit entsteht. Das fällt manchen Führungskräften noch schwer.

Eine zentrale Ursache hierfür ist laut Barbara Liebermeister, Leiterin des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt, „dass viele Führungskräfte noch verinnerlicht haben, dass die meisten Unternehmen heute, auch aufgrund der zunehmenden digitalen Vernetzung hochkomplexe soziale Beziehungssysteme sind, in denen fast alles miteinander verwoben ist und sich wechselseitig beeinflusst“.

In einem solchen Umfeld müssen die Führungskräfte auch neue Antworten auf solche Fragen finden wie:

  • Wie ist meine Funktion in der Organisation?
  • Aus welchen Quellen speist sich meine Wirksamkeit?
  • Wie sollte ich die (Zusammen-)Arbeits- sowie Kommunikationsprozesse gestalten?
  • Wie kann ich sicherstellen, dass mein Bereich seinen Beitrag zum Erreichen der Unternehmensziele leistet? Und last but not least:
  • Worüber bestimmt sich der Wert meiner Arbeit?

Das Menschenbild ändert sich – auch in der Privatwirtschaft

 

Dass viele Führungskräfte in der Privatwirtschaft nur schwer passende Antworten auf obige Fragen finden, liegt laut Claudia Christ auch daran, dass sie ein anderes Menschenbild als die Personen, die im Sozialbereich arbeiten, haben. Pädagogen, Therapeuten usw., erachten es als selbstverständlich, dass sich im Denken und Handeln jedes Menschen dessen Geschichte und soziales Umfeld widerspiegeln. Nicht wenigen Führungskräften in der Privatwirtschaft fehlt ein solches Menschenbild. Deshalb sind sie irritiert, wenn Menschen auf dieselben Reize bzw. dasselbe Verhalten von ihnen unterschiedlich reagieren.

Hinzu kommt: Auch ihr eigenes Denken und Handeln begreifen sie oft nicht als das Resultat ihrer Geschichte und des sozialen Kontextes, in den sie eingebettet sind. Deshalb fällt es ihnen schwer, ihr Verhalten zu reflektieren. Ohne eine selbstkritische Reflektion nehmen Sabine Prohaska zufolge, aber auch nicht ihre „blinde Flecken wahr, die dazu führen, dass sie gewisse Herausforderungen stets nach demselben Muster lösen“. Folglich besteht für sie auch kein Anlass, nach neuen Lösungswegen zu suchen, um beispielsweise die Kommunikation mit ihren Mitarbeitern zu verbessern.

Coaching wird verstärkt als Entwicklungsinstrument gesehen

Dass ihre Führungskräfte in diesem Bereich Unterstützung brauchen, haben viele Unternehmen erkannt. Deshalb offerieren sie ihren Führungskräften die Möglichkeit, in einem Coaching alleine oder im Team ihr Verhalten zu reflektieren und nach zielorientierteren Lösungen zu suchen. Dieses Angebot wird von den Führungskräften „zunehmend genutzt“, konstatiert Liebermeister – auch weil insbesondere der Führungsnachwuchs „das Coaching nicht mehr als ein Instrument zum Beheben persönlicher Defizite, sondern als ein Förder- und Entwicklungsinstrument versteht“. Dieser Gesinnungswandel dokumentiert sich auch darin, dass Führungskräfte immer häufiger, speziell wenn sie vor einer neuen Herausforderung stehen, ihren Arbeitgeber eigeninitiativ, um die Unterstützung durch einen Coach bitten. Und sagt dieser hierzu nein, dann zahlen sie das Coaching zuweilen sogar aus eigener Tasche.

Das ist gehäuft der Fall, wenn Führungskräfte spüren, dass sie physisch oder psychisch an ihre Belastungsgrenzen stoßen – also ihnen beispielsweise ein Burnout droht. „Denn dass Führungskräfte sozusagen öffentlich artikulieren, dass sie sich teilweise überfordert fühlen, ist in vielen Unternehmen aufgrund von deren Führungskultur leider immer noch ein Tabu“, beklagt Doll.

Führungskräfte brauchen bei der Selbstführung unterstützen

Doch dieses Tabu scheint sich allmählich aufzulösen – auch dank solcher Ereignisse wie der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges und ihrer Folgen. Denn aufgrund von ihnen war die Belastung vieler Führungskräfte in den zurückliegenden Jahren so hoch, dass ihre Arbeitgeber erkannten: Wir müssen unseren Führungskräften auch eine Unterstützung im Bereich Selbstführung und -management, wozu auch die Gesundheitsvorsorge zählt, bieten. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass sie

  • mittelfristig im Extremfall einen Kollaps oder Burnout erleiden oder
  • sich nach einer Jobalternative umschauen, weil sie ihre Arbeitssituation zunehmend als ihr Wohlbefinden schmälernd empfinden.

Das spürt auch der Präventionsanbieter SKOLAmed, der in Königswinter bei Bonn und in Hamburg zwei Check-up-Zentren betreibt. Er registriert unter anderem, dass immer mehr Unternehmen ihren Führungskräften einen medizinischen Gesundheits-Check bezahlen. „Bei nicht wenigen mittleren und oberen Führungskräften zählt es heute schon zu den vertraglich vereinbarten Sozialleistungen, dass sie alle zwei, drei Jahre einen solchen Check-up auf Firmenkosten machen können“, berichtet Michael Treixler, Geschäftsführer von SKOLAmed. Dies ist aus Sicht von Klaus Doll auch betriebswirtschaftlich sinnvoll, „denn, wenn eine Führungskraft beispielsweise wegen eines Burnouts ausfällt, fehlt sie in der Regel mindestens ein halbes Jahr und in dieser Zeit bleiben meist auch viele Vorhaben liegen“.

Gesundheitschecks werden vermehrt von Unternehmen bezahlt

Deshalb steigt vermutlich auch die Nachfrage von Selbstständigen nach solchen Check-ups, wie sie SKOLAmed anbietet. Denn auch sie sind laut Treixler „in ihrem Betrieb oft unverzichtbar und haben einen sehr straffen Terminkalender“. Deshalb widerstrebt es ihnen, über einen Zeitraum von mehreren Wochen verteilt, Termine mit einem halben Dutzend Fachärzte zu vereinbaren, nur um ein umfassendes Feedback bezüglich ihrer Gesundheit zu erhalten. „Stattdessen suchen sie lieber ein Check-up-Zentrum auf, wo binnen eines Tages alle relevanten Untersuchungen durchgeführt werden und sie datenbasiert eine ärztliche Rückmeldung über ihre Gesundheitsrisiken erhalten sowie eine Empfehlung, was sie deshalb tun bzw. nicht tun sollten.“

Eine steigende Nachfrage nach medizinischen Gesundheitsvorsorgemaßnahmen registriert Treixler aber nicht nur bezogen auf das Führungspersonal von Unternehmen. Auch die Nachfrage nach firmeninternen Screening-Aktionen sowie Gesundheitscoachings und-trainings für die gesamte Belegschaft steigt.

Den Mitarbeitern mehr als ein gutes Gehalt bieten

Darin sieht Sabine Prohaska keinen kurzfristigen Reflex der Unternehmen auf den unter anderem corona-bedingt gestiegenen Stress in den zurückliegenden Jahren; sie sieht hierin vielmehr einen langfristigen Trend zu einer höheren Wertschätzung der Mitarbeiter – „auch aufgrund des immer stärker spürbaren Fach- und Führungskräftemangels“. In seiner Folge setze sich in vielen Unternehmen die Erkenntnis durch: Wir müssen mehr als bisher tun, um das benötigte Fach- und Führungspersonal zu finden und an uns zu binden. Deshalb werben Barbara Liebermeister zufolge schon heute nicht wenige Unternehmen für sich als Arbeitgeber damit, dass sie ihren Mitarbeitern Coachings für ihre fachliche und persönliche Entwicklung sowie Check-ups und gesundheitsfördernde Maßnahmen zum Bewahren ihrer Leistungskraft offerieren. „Letztlich besteht die Herausforderung aber darin“, betont sie „für die Mitarbeiter passgenaue individualisierte Angebote zu kreieren, denn ihre Bedürfnisse sind und bleiben verschieden“.

Bernhard Kuntz

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