Führen ohne Weisungsbefugnis lernen

Je vernetzter die Arbeitsstrukturen und -beziehungen in den Unternehmen sind, umso häufiger müssen Mitarbeiter Personen führen und inspirieren, deren Vorgesetzte sie nicht sind.

 

In den tayloristisch organisierten Betrieben der Vergangenheit standen deren Bereiche weitgehend unverknüpft nebeneinander – gleich Säulen. Und jeder Bereich hatte sein klar definiertes Aufgabenfeld. Auch die Mitarbeiter hatten klar umrissene Aufgaben, die entweder in ihren Stellenbeschreibungen definiert oder ihnen von ihren Vorgesetzten übertragen worden waren.

Heute ist dies anders – „zumindest in den Unternehmen, die für ihre Kunden komplexe Leistungen erbringen“, betont Prof. Dr. Georg Kraus, Bruchsal. Sie sind in der Regel netzwerkartig strukturiert. Und die Bereichsgrenzen und Hierarchiestufen? „Sie spielen in der Alltagsarbeit eine immer geringere Rolle – vor allem, weil die Leistungen zunehmend in bereichs- und oft sogar unternehmensübergreifender Teamarbeit erbracht werden“.

 

Komplexe Strukturen erfordern anderen Führungsstil

In einem solchen Umfeld stößt das klassische Führen, das weitgehend auf der qua Position verliehenen disziplinarischen Macht beruht, oft an seine Grenzen, erklärt der Managementberater Hans-Peter Machwürth, Visselhövede. Stattdessen gewinnt das sogenannte laterale Führen an Bedeutung, „das auf Vertrauen und Verständigung beruht und danach strebt, durch das Schaffen eines gemeinsamen Denkrahmens die Interessen der Beteiligten soweit möglich zu verbinden“. Diese Art der Führung muss sich, weil die disziplinarische Weisungsbefugnis entfällt, auf andere Machtquellen stützen – zum Beispiel

  • eine hohe persönliche Autorität und Integrität oder
  • ein ausgewiesenes Expertentum oder
  • ein gezieltes Networking, das die eigene informelle Machtbasis stärkt.

Dem klassischen Führungsverständnis zufolge ist der Begriff „Laterale Führung“ ein Widerspruch in sich. Denn ihm zufolge ist Führung untrennbar mit einer hierarchischen Weisungsbefugnis verbunden. Trotzdem gewinnt das Thema laterale Führung in den Unternehmen massiv an Bedeutung. Das zeigt unter anderem die Studie „Alpha Collaboration – Führung im Umbruch; Perspektiven für die Zusammenarbeit der Zukunft“ des Instituts für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt.

Herausforderung: Um Zustimmung werben

Lateral führen bedeutet mehr als koordinieren, betont die IFIDZ-Leiterin Barbara Liebermeister. Denn Koordination zielt primär auf „ein Aufeinander-abstimmen zum Beispiel der Interessen, Aufgaben und Tätigkeiten ab“; Führung hingegen beinhaltet auch „ein Einwirken auf Personen und Organisationen bzw. Organisationseinheiten, damit sie in eine gewünschte Richtung denken und handeln“.

Das zentrale Ziel von lateraler Führung ist das Erreichen der eigenen oder übergeordneten Ziele (zum Beispiel des Unternehmens oder Projekts). Das Schließen eines Kompromisses kann ein Weg hierzu sein, erklärt Hans-Peter Machwürth. Nicht selten ist hierfür jedoch genau das Gegenteil nötig – so zum Beispiel, wenn das Erreichen der angestrebten Top-Ergebnisse eine klare Entscheidung zwischen mehreren möglichen Lösungswegen erfordert.

In der Praxis erweist sich das Führen ohne Weisungsbefugnis, oft als schwierig – vor allem, weil die an diesem Prozess beteiligten Personen zum Beispiel aufgrund ihrer unterschiedlichen Funktion und Position in der Organisation meist (teils) divergierende Auffassungen und Interessen haben. Zudem fehlt Georg Kraus zufolge, wenn weitreichende und folgenschwere Entscheidungen anstehen, eine Person, die irgendwann sagen kann: „So machen wir das jetzt – basta; ich übernehme hierfür die Verantwortung.“ Entsprechend langwierig sind beim lateralen Führen oft die Meinungsbildungs- und Entscheidungsprozesse, „da um die Zustimmung oder zumindest Akzeptanz aller Beteiligten geworben werden muss“.

Laterale Führung kann man lernen

Trotzdem gewinnt das Thema laterale Führung in den Unternehmen massiv an Bedeutung. Ursachen hierfür sind neben der zunehmend netzwerkartigen Struktur der Unternehmen und der fortschreitenden Digitalisierung, dass die in bereichs- und funktionsübergreifender Teamarbeit entworfenen Problemlösungen immer komplexer werden.

Die Kompetenz, lateral zu führen, fällt jedoch nicht vom Himmel, sie muss laut Hans-Peter Machwürth entwickelt werden – sowohl

  • bei Experten und Spezialisten, die in ihrem Arbeitsalltag aufgrund ihres Spezialwissens immer wieder vor der Herausforderung stehen, andere Menschen von den Vorzügen oder Risiken einer möglichen Lösung zu überzeugen, als auch
  • bei Führungskräften, die wichtige Entscheidungen im Team treffen möchten oder müssen, weil sie bei deren Realisierung auf die aktive Unterstützung ihrer Mitarbeiter, anderer Bereiche oder externer Kooperationspartner/Dienstleister angewiesen sind.

Dabei gilt es jedoch zu beachten: „Laterale Führung erfordert gewisse Persönlichkeitsmerkmale“, betont Barbara Liebermeister. So zum Beispiel

  • eine wertschätzende Haltung gegenüber anderen Menschen und
  • die Bereitschaft, das eigene Denken und Verhalten zu hinterfragen.

Denn ohne diese Grundhaltungen gelingt es weder die Denkmodelle anderer Menschen zu öffnen, noch eine von Vertrauen geprägte Beziehung zu ihnen aufbauen, um die gewünschten Wirkungen zu erzielen.

Ronja Siemens

Zur Autorin: Ronja Siemens, Freiburg ist freiberufliche Journalistin. Sie ist auf Berufs- und Karrierethemen spezialisiert.

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