Kommentar von Manfred Schlumberger, Leiter Portfoliomanagement bei StarCapital
Trotz der schwächer als ursprünglich erwarteten Weltkonjunktur in diesem Jahr sind die Gewinne der Unternehmen in ungeahnte Höhen vorgestossen. Vielen Firmen ist es gelungen, trotz Lieferketten-, Chip- und Logistikproblemen angesichts der rasant steigenden Nachfrage, ihre Gewinnmargen durch Preissteigerungen kräftig auszuweiten. Ein gutes Beispiel hierfür liefert die Automobilindustrie, bei er es selbst bei Luxuslimousinen keine Rabatte mehr gibt.
Bisher war in China die Immobilienkonjunktur mit einem Anteil von 25% am BIP Haupttreiber der Konjunktur. Der Versuch der chinesischen Führung, die Luft geordnet aus der Immobilienblase abzulassen (Stichwort «Evergrande»), die bald rückläufige Bevölkerung und hohe Leerstände lassen dies für die Zukunft nicht mehr erwarten. Angesichts der erreichten hohen Verschuldung von Haushalten und Unternehmen werden die relativ hohen Zinsen in China zum Problem. Zur Bekämpfung der Pandemie hat China stets mit drastischen Lockdowns reagiert, verbunden mit den entsprechenden Konsequenzen für die globalen Lieferketten. Angesichts der sich rasant verbreitenden Omikron-Variante besteht das Risiko, dass bei einer Fortsetzung dieser Politik das Wachstum erheblich beeinträchtigt wird. Was dies für die grössten Exportländer wie Deutschland und Japan bedeuten würde, kann man sich leicht ausmalen. China könnte also durchaus zu einem schwarzen Schwan für die Weltkonjunktur 2022 werden!
Laut der Bank of America übersteigen die Zuflüsse der letzten 12 Monate an den internationalen Aktienmärkte die Summe der Zuflüsse der 19 Jahre davor. Trotz aktuell eher vorsichtiger Stimmung sind viele Anleger bis zur Halskrause in Aktien investiert. Grund ist nämlich die fehlende Alternative an den Rentenmärkten. Auch die geringe Marktbreite vor allem in den USA gibt Anlass zur Sorge. Nur einige wenige Technologieaktien haben den Anstieg an den US-Börsen seit Mitte des Jahres getragen. Diese beiden Faktoren machen die Aktienmärkte anfällig für kräftige Rückschläge. Der DAX beispielsweise fällt im historischen Durchschnitt zweimal um mehr als 10 % im Jahr – in diesem Jahr jedoch bisher kein einziges Mal! Sollten sich die möglichen schwarzen Schwäne oder gar heute gänzlich Unbekannte zeigen, droht eine entsprechende Volatilität an den Aktienmärkten. Dies ist vermutlich die überzeugendste Prognose für 2022. Die vielen neuen und unerfahrenen Investoren am Aktienmarkt werden sich dann vermutlich als eher «schwache Hände» erweisen.
Der Umstand, dass sich alle Notenbanken ihrer Verantwortung angesichts rekordhoher Staatsverschuldungen bewusst sind, spricht für moderaten Liquiditätsentzug und anhaltend niedrige Leitzinsen. Trotz zu erwartender Volatilität ist somit dennoch ein «normales» Aktienjahr mit Renditen um die 7% zu erwarten. Vermutlich wird es aber nicht mehr genügen, lediglich Indexfonds auf den US-Aktienmarkt S&P500 zu kaufen, um durch den 25-prozentigen Anteil der FAANGM-Aktien, die meisten aktiven Wettbewerber outzuperformen. Unsere Prognose spricht 2022 eher für die benchmarkfreien Investmentmanager, die aktiv die sich bietenden antizyklischen Opportunitäten an den Aktienmärkten nutzen.