Kommentar von Florian Ielpo, Head of Macro, Multi Asset bei Lombard Odier Investment Managers
Der US-Inflationsbericht wurde mit großer Spannung erwartet und enthielt eine doppelte Botschaft. Erstens lässt der pandemiebedingte Inflationsschub nach, da sich die Kapazitäten und der Dienstleistungssektor weiter normalisieren. Zweitens kehrt eine eher „makroökonomische“ Art der Inflation zurück: die Wohnkosten steigen. Solange das Lohnwachstum jedoch ähnlich hoch bleibt wie in früheren Zyklen, dürfte dies mittelfristig zu einer Inflation von 2,5 % führen, die die Märkte bereits erwarten.
Der am 14. September veröffentlichte US-Inflationsbericht scheint auf eine Stabilisierung der Inflation hinzudeuten. Der Verbraucherpreisindex stieg im August im Jahresvergleich um 5,3 % (erwartet 5,3 %,
5,4 % im Juli), während die Kerninflation von 4,3 % auf 4 % fiel und damit die Erwartungen (4,2 %) enttäuschte. Wichtiger als diese offensichtliche Abschwächung der Inflation ist jedoch, dass diese Zahlen den Anlegern zwei unterschiedliche Botschaften über die Zukunft der Inflation in den USA und anderswo vermitteln.
Erstens geht der Teil der Inflation, der die durch die Pandemie verursachte Störung widerspiegelt, zurück. Dies zeigt sich vor allem in der Verkehrskomponente des US-amerikanischen VPI sowie in seiner Energiekomponente. Wie aus dem nachstehenden Schaubild (Grafik 1) hervorgeht, sind die Preise für Nahrungsmittel und Energie für 1,25 % des gesamten Preisanstiegs von 5,3 % gegenüber dem Vorjahr verantwortlich. Zweitens verzeichneten auch die Preise für Kraftfahrzeuge einen starken Anstieg und trugen mit rund 1,25 % zum VPI bei (zu dem die Verkehrsdienstleistungen einen marginalen Beitrag von 0,25 % leisteten). Abgesehen von diesen beiden Komponenten stieg die Inflation in den USA also nur um 2,55 %, was nahe genug an dem Wert liegt, den die Fed für die Inflation anstrebt. Noch wichtiger ist, dass sich diese außergewöhnlichen Komponenten entweder stabilisierten (Energie) oder sanken (Verkehr). Die erste Botschaft dieser Zahlen ist, dass der pandemiespezifische Inflationsschub an Boden verliert, im Einklang mit den meisten Daten, die auf eine Normalisierung der Produktion hindeuten: Die Kapazitätsauslastung in den USA lag im August bei 76 % und damit fast auf dem Niveau vor der Pandemie. Das Wachstum normalisiert sich, und diese vorübergehenden Verwerfungen sollten dies auch tun.
Schaubild 1. Zerlegung der jährlichen Veränderung des US-Verbraucherpreisindexes
Quelle: Bloomberg, LOIM.
Ist dies das Ende der Inflation? Nicht unbedingt, denn dieser Inflationsbericht hat noch ein zweites erwähnenswertes Element: Die Wohnkomponente, die den Anstieg der Mieten, insbesondere für Wohnungen und Häuser, widerspiegelt, hat einen Aufwärtstrend eingeschlagen, was zu diesem frühen Zeitpunkt des Erholungszyklus ungewöhnlich ist. Die jüngste Veränderung gegenüber dem Vorjahr liegt nun bei 2,78 %, nachdem im Februar 2021 ein Tiefstand von 1,45 % erreicht wurde. Im Vergleich dazu mussten die Wirtschaftswissenschaftler nach der globalen Finanzkrise bis 2010 warten, um einen solchen Anstieg zu sehen. Sie tritt in der Regel in Zeiten des Aufschwungs auf, lange nachdem der Aufschwung beendet ist. Solche Zeiträume wurden 1989, 1999, 2005 und 2016 beobachtet, wie in Abbildung 2 zu sehen ist.
Schaubild 2. Wohnkomponente des US-Verbraucherpreisindex (im Jahresvergleich) und Arbeitskosten
Quelle: Bloomberg, LOIM
Bedeutet dies, dass wir in den kommenden Monaten eine deutlich höhere Inflation erleben werden? Nicht unbedingt. In der Regel gibt es einen Hauptgrund für steigende Mietkosten: steigende Löhne. Wenn der Wachstumszyklus fortschreitet, bieten die Arbeitgeber ihren Mitarbeitern entweder Lohnerhöhungen an, um sie an sich zu binden, oder sie stellen neue Mitarbeiter von Konkurrenten ein, was zu höheren Arbeitskosten führt (siehe Abbildung 2). Drei der fünf oben erwähnten Episoden steigender Wohnkosten spiegeln solche Lohnsteigerungen wider. Wie sieht es heute aus? Abbildung 2 zeigt einen Anstieg der Lohnstückkosten im Jahr 2020 und in jüngster Zeit eine Rückkehr zu einem angemesseneren Niveau (etwa 1,8 %). Die interessante Aufgabe besteht darin, den erwarteten Anstieg der Wohnungspreise zu berechnen, wenn die Arbeitskosten um 4 % steigen (wie 1999 oder 2005). Diese Zeiträume gehen mit einem Anstieg der Wohnkosten um 3,5 % einher, der etwa ein Drittel dieses Wertes zum VPI beitragen würde (oder 1,6 %).
Bei einem moderaten Anstieg der Rohstoffpreise, wie er für Expansionsphasen typisch ist, der etwa
0,80 % zur Gesamtinflation und 0 % zur Wareninflation beiträgt (siehe Schaubild 1), würde die Inflation schließlich 2,5 % erreichen. Wenn diese Zahl nicht ausreicht, um die Fed zu erschrecken, was ist dann mit den Anlegern? Die zweijährige Inflationserwartung liegt bei 2,62 %, und der Konsens der Ökonomen für denselben Zeitraum liegt bei 2,65 % (siehe Schaubild 3, Durchschnitt zwischen 2022 und 2023). Daher ist es schwierig, eine Überraschung bei der Inflation zu erwarten. Mit einer Erwerbsquote von 60 % (gegenüber 63 % vor der Pandemie) sind viele Amerikaner noch nicht von der Attraktivität des Arbeitsmarktes überzeugt: Dies dürfte den Anstieg der Lohnkosten in den kommenden Quartalen begrenzen, da sich auch diese Situation normalisiert. Unseren Schätzungen zufolge liegen die derzeit offenen Stellen (etwa 10 Millionen) unter den 13 Millionen potenziellen Bewerbern (9,5 Millionen Arbeitslose und 3,5 Millionen entmutigte potenzielle Arbeitnehmer). Die „Beschäftigungslücke“, wie sie in den USA genannt wird, ist daher wahrscheinlich größer, als die offensichtlichen Zahlen zeigen. Sie ist ein Schlüsselfaktor für die Vorhersage der künftigen Inflation und ihrer Auswirkungen auf die Zinssätze.
Abbildung 3 – Mittelfristige Inflationsprognosen für die USA in %.
Quelle: Bloomberg, LOIM