Führungskräfteentwicklungsprogramme 4.0 schmieden

 „Unsere Führungskräfteentwicklung muss sich im digitalen Zeitalter ändern.“ Diese Erkenntnis reift zunehmend in den Unternehmen. Deshalb überdenken zurzeit viele ihre Führungskräfteentwicklungsprogramme und gestalten diese neu.

„Wir müssen unsere Führungskräfte mit System weiterentwickeln, sonst können wir zum Beispiel den Prozess der digitalen Transformation nicht meistern“ – das wird vielen Unternehmen zunehmend bewusst. Denn anders als oft gedacht, verliert Führung in der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten VUKA-Welt nicht an Bedeutung. Im Gegenteil! Führung wird immer wichtiger, da sonst den Mitarbeitern der erforderliche Halt und die nötige Orientierung fehlen, die sie auch bei einem weitgehend selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Arbeiten brauchen.

Zugleich muss sich Führung jedoch ändern. Auch dies wird den Unternehmen immer stärker bewusst. Sie sollte unter anderem

  • agiler und flexibler,
  • personen- und teamorientierter,
  • zukunftsorientierter und offener für Veränderungen sowie
  • motivierender und inspirierender sein.

Um diese Anforderungen zu erfüllen, benötigen die Führungskräfte zum Teil neue Kompetenzen. Zudem setzen sie bei ihnen eine hohe Verhaltensflexibilität, eine selbstreflexive Haltung sowie eine hohe Veränderungs- und Lernbereitschaft voraus.

Unternehmen entwickeln neue Konzepte

Sowohl die hierfür erforderliche Einstellung, als auch nötigen Kompetenzen wurden den Führungskräften und Führungsnachwuchskräften in den klassischen Entwicklungsprogrammen der Unternehmen nur bedingt vermittelt. Deshalb überdenken zurzeit viele Unternehmen ihre Führungskräfteentwicklungsprogramme oder entwickeln neue, sofern sie ihre alten bereits auf Eis gelegt haben.

Dies ist auch aus folgendem Grund nötig: Die moderne Informations- und Kommunikationstechnik ermöglicht andere Lern-Architekturen als die der tradierten Entwicklungsprogramme. Letztere bestanden oft primär aus einer vorab definierten Abfolge von Präsenzseminaren, auf die jeweils eine Transferphase im Betriebs- und Führungsalltag folgte.

Viele Führungskräfte sind heute Digital Natives

Ein solches Design wird heute weder dem Bedarf der Unternehmen, noch den Erwartungen der Programmteilnehmer gerecht. Denn bei ihnen handelt

inzwischen meist um Digital Natives, die die moderne Informations- und Kommunikationstechnik nicht nur privat, sondern auch beruflich ganz selbstverständlich nutzen – zum Beispiel im Rahmen der Projektarbeit. Also erwarten sie auch, dass diese Technik in den ihnen offerierten Entwicklungsprogramme genutzt wird, soweit dies zielführend und effektiv ist.

Solche zeitgemäßen Entwicklungsprogramme zu entwerfen, fällt den Personalentwicklern in den Unternehmen zum Teil noch schwer – unter anderem, weil ihnen nicht selten die hierfür nötige Digitalkompetenz fehlt. Das heißt, sie können, weil ihnen das erforderliche Digital-Know-how und IT-technische Verständnis partiell fehlen, oft nur bedingt einschätzen,

  • wohin die technologische Reise (im Unternehmen) geht und
  • welche Lernarchitekturen aktuell (bzw. in naher Zukunft voraussichtlich) bereits möglich und sinnvoll wären.

Deshalb sind sie beim Entwickeln zukunftsweisender (Führungskräfte-)Entwicklungsprogramme auf eine professionelle Unterstützung durch den IT-Bereich ihres Unternehmens oder externe Berater angewiesen. Dies erschwert es ihnen, ihre Funktion als Mitgestalter des digitalen Transformationsprozesses professionell wahrzunehmen.

Die Ziele des Entwicklungsprogramms definieren

Beim Planen und Gestalten moderner zeitgemäßer Führungskräfteentwicklungsprogramme sowie deren Realisierung empfiehlt sich ein mehrstufiges Vorgehen. Der erste Schritt sollten zum Beispiel crossfunktionale und hierarchieübergreifende Workshops sein, in denen die Personalentwickler – im Dialog mit ihren firmeninternen Kunden und Auftraggebern –

  • ein gemeinsames Verständnis der Grundprinzipien von Führung im digitalen Zeitalter entwickeln und
  • ein Bewusstsein für den hieraus resultierenden Changebedarf auf der Unternehmens- und Führungskulturebene schaffen.

Hierfür aufbauend kann ein gemeinsames Grundverständnis für den Changebedarf im HR-Bereich entwickelt werden.

Auf dieser Basis kann dann wiederum eine Verständigung darüber erfolgen, was die Kernfunktionen einer modernen Führungskräfteentwicklung sind. Das Ergebnis kann lauten:

  • Den (angehenden) Führungskräften sollen die Schlüsselkompetenzen vermittelt werden, die sie zum Führen im digitalen Zeitalter brauchen, bzw. diese sollen weiter ausgebaut werden.
  • Sie sollen mit den Führungsinstrumenten und -methoden vertraut gemacht werden, die sie zum Führen künftig brauchen. Und:
  • Bei ihnen sollen die Verhaltenssicherheit und Verhaltensflexibilität entstehen, die sie in der VUKA-Welt zum Wahrnehmen der verschiedenen Führungsrollen wie Manager sein, Leader sein, Befähiger und Ermächtiger sein im Betriebs- und Führungsalltag brauchen.

Ein wichtiges Ziel darf hierbei keinesfalls vergessen werden: In der Organisation für das nötige Alignment in der Führungsmannschaft sorgen; also dafür, dass zwischen den Führungskräften bereichs- und hierarchieübergreifend eine weitgehende Übereinkunft besteht, bezüglich

  • der Werte sowie des Menschenbilds, von dem sie sich beim Führen leiten lassen, sowie
  • den Zielen, die sie hierbei verfolgen

– und zwar unabhängig von ihrer Persönlichkeit und ihres auch aufgrund ihrer Funktion in der Organisation teils unterschiedlichen Führungsstils. Ein solches Agreement ist nötig. Sonst wird das Führungshandeln beliebig und in dem Unternehmen entsteht keine gemeinsame Führungskultur.

 

Den Entwicklungsbedarf des Führungsteams ermitteln

Sind die Entwicklungsziele ermittelt, gilt es im zweiten Schritt den Entwicklungsbedarf auf der Ebene des Gesamtunternehmens und auf der Bereichsebene zu bestimmen. Dieser Soll-Ist-Vergleich kann auf verschiedene Weise erfolgen. Nicht selten werden hierfür strukturierte Interviews mit den Führungskräften auf der mittleren und oberen Führungsebene durchgeführt. Hierdurch gelangt man zwar oft zu recht validen Ergebnissen. Trotzdem empfiehlt sich beim Ermitteln des Entwicklungsbedarfs in der Regel ein Vorgehen, das auch die Führungskräfte auf der operativen Ebene und zumindest ausgewählte Mitarbeiter integriert. Aus mehreren Gründen. Zum einen erhalten dann die Führungskräfte auch ein Feedback von den ihnen nachgelagerten Ebenen über ihren Führungsstil und ihr Führungsverhalten. Das schärft ihre Sensibilität für den eigenen Changebedarf. Zum anderen gilt es, wenn das angestrebte Ziel zum Beispiel lautet „Die Mitarbeiter sollen eigenverantwortlicher arbeiten und ihre Führungskräfte sollen sich stärker als ihre Befähiger und Ermächtiger verstehen“, auch an die Mitarbeiter das Signal zu senden: „Uns werden mehr Mitsprache- und Gestaltungsmöglichkeiten eingeräumt.“

Ein zukunftweisendes Entwicklungsprogramm entwerfen

Sind die Entwicklungsziele und der Entwicklungsbedarf bekannt, kann das Grobkonzept des künftigen Führungskräfteentwicklungsprogramms entwickelt werden. Dieses sollte sich im digitalen Zeitalter unter anderem durch folgende Faktoren auszeichnen:

  • Die moderne Informations- und Kommunikationstechnik wird gezielt genutzt, um die Entwicklungsprogramme effektiv und zielführend zu gestalten. Und:
  • Das Online- und Präsenzlernen werden zielorientiert so verknüpft, dass sie sozusagen eine Einheit bilden.

Dabei gilt es in der von rascher Veränderung und sinkender Planbarkeit geprägten VUKA-Welt jedoch zu beachten: Die so entwickelten Programme dürfen keine statischen sein, da zum Beispiel die Antwort auf die Frage, inwieweit ein bestimmte Form des Lernens zielführend ist, auch vom jeweiligen Stand der Technik und von den Rahmenbedingungen abhängt. Deshalb gilt es die Frage, welcher Mix zielführend ist, stets neu zu beantworten.

Elemente eines modernen Entwicklungsprogramms

Dessen ungeachtet zeichnen sich moderne Führungskräfteentwicklungsprogramme in der Regel dadurch aus, dass sie folgende Elemente miteinander verbinden:

  • Kollektive Qualifizierung (z.B. in Seminaren, Trainings, Webinaren; mittels Lernplattformen): Ziel dieser Maßnahmen ist es, den Teilnehmern die Skills zu vermitteln, die sie zum Führen im digitalen Zeitalter brauchen; außerdem durch das gemeinsame Lernen dafür zu sorgen, dass das nötige Alignment entsteht.
  • Individuelle Qualifizierung (z.B. mittels Coaching, Mentoring): Ziel dieser Maßnahmen ist es, bei den Teilnehmern die Verhaltenssicherheit und -flexibilität zu erzeugen, die sie zum Wahrnehmen ihrer Führungsfunktion brauchen und ihr Selbstbewusstsein als Führungskraft zu stärken.
  • Transferunterstützende Maßnahmen (z.B. Teamcoaching, Erfahrungsaustausch): Ziel dieser Maßnahmen ist es, dass die Teilnehmer tatsächlich das gewünschte Führungsverhalten zeigen und im Unternehmen eine Führungskultur entsteht, die den Erfordernissen des digitalen Zeitalters entspricht.
  • On-the-job-Lernen: Ziel dieser Maßnahmen ist es, die neuen Führungskompetenzen systematisch auszubauen und zur Routine werden zu lassen.

Dabei variiert der Umfang der individuellen und kollektiven Förder- und Unterstützungsmaßnahmen auf den verschiedenen Führungsebenen in der Regel. Bei den Führungsnachwuchskräften, denen noch das Basis-Handwerkszeug in Sachen Führung vermittelt werden muss, dominieren oft die kollektiven Entwicklungsmaßnahmen. Je erfahrener die Führungskräfte sind und je exponierter ihre (Führungs-)Position ist, umso individueller, auf ihren persönlichen Bedarf zugeschnittener werden in der Regel die Förder- und Unterstützungsmaßnahmen.

Ein Kick-off als emotionaler und inhaltlicher Startpunkt

Steht das Führungskräfteentwicklungsprogramm empfiehlt es sich, dieses in einer Kick-off-Veranstaltung allen Führungskräften zu präsentieren und erläutern. Ziel dieser Maßnahme ist es,

  • einen emotionalen und inhaltlichen Startpunkt für das Führungskräfteentwicklungsprogramm zu schaffen und
  • bei den Teilnehmern ein gemeinsames Grundverständnis von Führung im digitalen Zeitalter sowie ein Bewusstsein für die Notwendigkeit einer Veränderung zu erzeugen.

Dies gelingt am ehesten, indem die Top-Manager in dem Kick-Off noch einmal an alle Führungskräfte – möglichst illustriert an Beispielen aus dem Unternehmens- und Führungsalltag – folgende Botschaften senden:

  1. „Führung wird im digitalen Zeitalter immer wichtiger.“
  2. „Ohne Eure Unterstützung, geschätzte Führungskräfte, können wir als Unternehmen unsere Ziele nicht erreichen.“ Und:
  3. „Führung muss sich im digitalen Zeitalter verändern bzw. weiterentwickeln.“

Den Führungskräften Entwicklungspfade aufzeigen

Dies allein genügt jedoch meist nicht, um bei den Führungskräften, das nötige Betroffen-sein und die erforderliche Veränderungsenergie zu erzeugen. Deshalb empfiehlt es sich, unmittelbar vor dem Kick-off oder im Anschluss an dieses mit allen Führungskräften mit einem Kompetenzanalyse-Tool wie dem LEADT des IFIDZ eine Selbstreflexion durchzuführen hinsichtlich ihres individuellen Entwicklungsbedarfs. Ziel dieser Maßnahme ist eine individuelle Standortbestimmung der Führungskräfte unter anderem im Hinblick auf ihre digitalorientierte Führungsreife; außerdem ihnen (Lern-)Impulse für ihre individuelle Entwicklung zu geben.

Hierauf aufbauend können dann zum Beispiel ihre Führungskräfte mit ihnen individuelle Lern- und Entwicklungsvereinbarungen schließlich, die sowohl dem Bedarf der Führungskräfte, als auch dem Bedarf des Unternehmens und dessen Entwicklungszielen entsprechen.

Dabei gilt es jedoch zu beachten: Diese Vereinbarungen haben in der VUKA-Welt stets nur einen vorläufigen Charakter basierend auf dem aktuellen gemeinsamen Erkenntnisstand. Entsprechend wichtig ist es, dass die Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern im Gespräch bleiben, um die Vereinbarungen im Bedarfsfall zu modifizieren oder neu zu justieren.

Barbara Liebermeister, Patrick Merke

Zu den Autoren:

  • Barbara Liebermeister leitet das Institut für Führungskultur im digitalen Zeitalter (IFIDZ), Frankfurt. Die Vortragsrednerin sowie Managementberaterin ist u.a. Autorin des Buchs „Digital ist egal: Mensch bleibt Mensch – Führung entscheidet“.
  • Patrick Merke ist Mitglied der Institutsleitung. Er verantwortet im IFIDZ u. a. den Bereich Business Development. Er hat Politologie, Soziologie und Betriebswirtschaftslehre (IWW) studiert sowie einen MBA absolviert; außerdem verfügt er über eine Ausbildung als Business Coach und Changemanagement Consultant.

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