Unternehmen benötigen künftig Mitarbeiter, die ihren Entwicklungsbedarf selbst erkennen und eigenständig decken – denn nur dann können sie flexibel auf Marktveränderungen reagieren. Deshalb führte die Schwäbisch Hall Gruppe ein neues Ausbildungskonzept ein.
Bei der Schwäbisch Hall Unternehmensgruppe befasst sich seit 2005 ein Projekt mit dem Themenkomplex „Generationenmanagement“. Im Rahmen dieses Projekts analysierte ein Projektteam unter anderem den Personalbestand und den künftigen Bedarf an Nachwuchskräften. Außerdem wurden die Personalmanagement-Instrumente daraufhin untersucht, inwieweit sie „demografiefest“ sind. Dabei zeigte sich unter anderem: Das Ausbildungskonzept von Schwäbisch Hall sollte überdacht werden und zwar sowohl aufgrund
- der Veränderungen der Arbeitswelt als auch
- der Veränderungen des deutschen Bildungssystems sowie des Profils der Schulabgänger.
Neue Anforderungen an Ausbildung formuliert
Deshalb startete Schwäbisch Hall Anfang 2011 ein Projekt mit dem Ziel, das bestehende Ausbildungskonzept zu „reformieren“. Für das neue Konzept wurden folgende grundsätzlichen Anforderungen formuliert:
- Die Ausbildung soll einen wichtigen Wertschöpfungsbeitrag zum künftigen Unternehmenserfolg leisten.
- Die Ausbildung soll geschäftsprozessorientiert erfolgen und die Lernchancen der realen Arbeitsabläufe nutzen.
- Das Erreichen der Lernziele und der Eignungsprofile für die verschiedenen Ausbildungsberufe soll unter anderem dadurch sichergestellt werden, dass die Auszubildenden ihren Lernprozess aktiv mitgestalten.
- Die Auszubildenden werden hierbei von den Ausbildern im Sinne einer Lernprozessbegleitung unterstützt.
- Neben der fachlichen soll die persönliche, methodische und soziale Kompetenz der Auszubildenden entwickelt werden.
- Mit der Ausbildung soll die Basis für ein erfolgreiches Berufsleben gelegt werden, in dem das lebenslange Lernen als selbstverständlich erachtet wird – auch um die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter langfristig zu sichern.
Neues Ausbildungskonzept implementiert
Ausgehend von diesen Zielsetzungen wurden Teilprojekte ins Leben gerufen, die
- das neue Ausbildungskonzept sowie die hierfür erforderlichen Instrumente und Qualifizierungsmaßnahmen beispielsweise für die Ausbilder entwarfen,
- die für die Einführung des Konzepts erforderliche (informationstechnische) Infrastruktur schufen und
- einen Fahrplan für die Einführung des neuen Konzepts entwickelten.
Nachdem das neue Konzept mit dem Vorstand und Betriebsrat abgestimmt war, wurde es mit Beginn des neuen Ausbildungsjahres im Herbst 2011 umgesetzt – zunächst als Pilotprojekt im zentralen Ausbildungsbereich, der auch die Grundlagenausbildung aller Azubis durchführt. Im Frühjahr 2012 begann der Roll-out in allen ausbildungsrelevanten Bereichen der Kundenbetreuung. Dieser Prozess endete im Juni 2012.
Grundlage der Ausbildung bildet das Eignungsprofil, das für das Berufsbild Bankkaufmann/-kauffrau entwickelt wurde. In ihm sind in einer „Kompetenzlandkarte“ die Kompetenzen aufgelistet, die Bankkaufleute brauchen. Diese Kompetenzen – wie zum Beispiel „Lern-“ sowie „Reflexionsfähigkeit und -bereitschaft“ im Bereich „Persönliche Kompetenz“ – sind mit konkreten Fähigkeiten hinterlegt. Zudem ist im Eignungsprofil beschrieben, in welchen Verhaltensweisen sich das Vorhandensein dieser „Skills“ zeigt.
Besagte Fähigkeiten sollen sich die angehenden Bankkaufleute, während der sechs drei- bis sechsmonatigen Ausbildungsabschnitte, die sie während ihrer Ausbildung in verschiedenen Abteilungen durchlaufen, weitgehend selbstständig aneignen. Dabei stehen ihnen die fünf hauptamtlichen Ausbilder im Bankinnendienst und rund 80 Fachbereichsausbilder als „Lernbegleiter“ unterstützend zur Seite. Sie wurden auf diese Aufgabe, die in weiten Teilen einem Coachen gleicht, vorbereitet.
Das Konzept der Ausbildung und das angestrebte Eignungsprofil werden den Azubis in der gemeinsamen Einführungswoche zu Beginn ihrer Ausbildung erläutert. Danach startet der erste dreimonatige Ausbildungsblock. In ihm wird den angehenden Bankkaufleuten von der zentralen Ausbildungsabteilung das Basis-Knowhow über das Bankgeschäft und das Geschäft der Bausparkasse Schwäbisch Hall vermittelt, das sie bei der Arbeit in allen Fachabteilungen brauchen. In dieser Phase sollen die Azubis auch erste Erfahrungen mit dem neuen Ausbildungskonzept sammeln, so dass sie, wenn sie in die Fachabteilungen wechseln, bereits mit dem Verfahren zur Kompetenzfeststellung und -entwicklung, das dem Konzept zugrunde liegt, vertraut sind..
Das Kompetenzfeststellungs- und -entwicklungsverfahren
Das Verfahren zur Kompetenzfeststellung und -entwicklung sieht wie folgt aus: Zu Beginn jedes Ausbildungsabschnitts führt jeder Auszubildende ein Einführungsgespräch mit dem betreffenden Ausbilder. Sie sprechen darüber,
- welche Kompetenzen der Azubi in dem Ausbildungsabschnitt ausgehend vom angestrebten Eignungsprofil erwerben und
- welche der drei Kompetenzstufen „Kennen“, „Können“ und „Beherrschen“ er dabei erreichen soll.
Zudem analysieren sie, welcher Entwicklungsbedarf noch besteht. Danach treffen der Auszubildende und der Ausbilder eine Lernvereinbarung, die der Azubi protokolliert.
In den folgenden Wochen erhalten alle Azubis dann jeweils eine Wochenaufgabe. Diese sollen sie in „Gruppenpuzzles“ genannten Kleingruppen selbstorganisiert lösen. Die Wochenaufgaben sind so konzipiert, dass sie in Zusammenhang mit dem Geschäftsprozess bei Schwäbisch Hall stehen. Eine Wochenaufgabe kann sein, bezogen auf eine konkrete Kreditanfrage eines Immobilienbesitzers zu ermitteln, welche Lasten und Hypotheken im Grundbuch eingetragen sind und mit welchem Rang die Bausparkasse im Grundbuch vermerkt ist; des Weiteren eine (Vor-)Entscheidung über die Vergabe eines neuen Kredits zu treffen und zu begründen.
Am Ende der Woche notiert jeder Azubi im sogenannten Kompetenztagebuch, das ihn während seiner gesamten Ausbildung begleitet,
- was ihm beim Lösen der Wochenaufgabe gut und weniger gut gelang,
- welche Kompetenzen er dabei zeigte,
- welche Lernfortschritte er bei sich registrierte und
- wo und wie er sich noch weiter entwickeln möchte.
Während der Ausbildung stehen die Ausbilder den Auszubildenden als Rat- und Impulsgeber zur Seite. Dabei bleibt es jedoch der Initiative der Azubis überlassen, diese bei Bedarf um Unterstützung zu bitten. Ansonsten beobachten die Ausbilder primär den Prozess und greifen bei Bedarf moderierend ein.
Etwa nach der Hälfte jedes Ausbildungsabschnitts findet ein Zwischengespräch statt. In ihm soll der Azubi den bisherigen Verlauf der Ausbildung in der betreffenden Fachabteilung reflektieren. Danach erhält er vom Ausbilder ein Feedback über seine Entwicklung und das gezeigte Verhalten. Anschließend treffen beide eine neue Lernvereinbarung für die zweite Hälfte des Ausbildungsabschnitts abschließen, die der Azubi erneut protokolliert. Nach dem Muster des Zwischengesprächs funktioniert auch das Abschlussgespräch am Ende des jeweiligen Ausbildungsabschnitts.
Das Grundkonzept der Kompetenzentwicklung und -feststellung durchzieht die gesamte Ausbildung. Denn aus den jungen Frauen und Männern sollen hochqualifizierte Mitarbeiter werden, die auch über die Kompetenz verfügen,
- selbst zu erkennen, wann sie ihre bisherige Art, Aufgaben zu lösen, überdenken und neue „Problemlösungen“ entwickeln müssen und
- sich selbstständig (und eigeninitiativ) die hierfür erforderlichen Fähigkeiten und Kenntnisse anzueignen (wobei sie selbstverständlich von Schwäbisch Hall unterstützt werden).
Bisher gesammelte Erfahrungen
Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt: Mit dem neuen Ausbildungskonzept werden die definierten Ziele erreicht. Das belegt auch eine Befragung der an dem (Pilot-)Projekt beteiligten Bereiche und Personengruppen. Deutlich wurde zudem: Die bei dem neuen Ausbildungskonzept praktizierte Form des Wissens- und Kompetenzerwerbs kommt den Bedürfnissen der Auszubildenden von heute entgegen. Denn sie kennen aus der Schule das Arbeiten in Gruppen. Auch das selbstständige Erarbeiten von Lerninhalten sind sie gewohnt. Deshalb ist das klassische Lehrgespräch zwischen Ausbilder und Auszubildenden seltener nötig.
Das Entwickeln von eigenständig denkenden und eigenverantwortlich handelnden Mitarbeitern ist kein Prozess, der mit der Ausbildung endet. Deshalb startete die Schwäbisch Hall Gruppe im Frühjahr 2012 ein weiteres (Teil-)Projekt, das darauf abzielt, diesen Prozess nach der Ausbildung mit einem passenden Einarbeitungsprogramm weiter zu forcieren. Dahinter steckt auch die Erkenntnis: Wenn die Mitarbeiter mehr Eigenverantwortung beim Entwickeln ihrer Kompetenz zeigen sollen, dann bedarf es regelmäßiger Impulse seitens des Unternehmens sowie ihrer Führung. Das heißt: Die Fähigkeit zur Selbstreflektion und -steuerung muss ein Teil der Unternehmenskultur werden.
Kristin Seyboth, Werner Ollechowitz
Zu den Autoren:
Kristin Seyboth leitet den Bereich Kredit- und Sparservice bei Schwäbisch Hall
Werner Ollechowitz leitet den Bereich Personal der Bausparkasse Schwäbisch Hall.