NNIP Kolumne: Brasilien – kein anderes Schwellenland hat derzeit eine höhere Reformdynamik

Maarten-Jan Bakkum, Senior Strategist, Emerging Markets bei NN Investment Partners

 

Weitreichende Reformen des Rentensystems geplant, um Staatshaushalt und Verschuldung beherrschbar zu gestalten.

Dennoch ist der brasilianische Markt – 2016 einer der am besten abschneidenden Märkte – zuletzt unter Druck geraten.

Grund dafür ist die Unsicherheit über eine mögliche Verwässerung der Reformvorschläge aufgrund vermutlich zunehmender Proteste.

Im April dürfte klar sein, wann der Kongress über die Reformen abstimmt – letztlich werden sie aber umgesetzt.

 

Ein wichtiger Eckpfeiler der Rentenform ist, dass das durchschnittliche Renteneintrittsalter unweigerlich von 55 auf 65 Jahre angehoben wird. Außerdem werden die Regeln für Männer und Frauen angeglichen (derzeit gehen Frauen in Brasilien im Durchschnitt fünf Jahre eher in Rente als Männer). Über diese beiden Grundsätze wird die Regierung von Michel Temer nicht mit sich reden lassen. Nur das Tempo der Reformen ist verhandelbar. Wenn zu viele Zugeständnisse gemacht werden, könnte Sorge in Bezug auf die Tragbarkeit der Staatsverschuldung aufkommen. Selbst wenn die Regierung die Pläne wie vorgeschlagen umsetzt, dürfte die Staatsverschuldung von derzeit 70 auf rund 95 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ansteigen. Schon bei kleineren Änderungen an den Reformvorschlägen könnte die Schuldenquote daher rasch auf über 100 Prozent schnellen. Derzeit beläuft sich das Haushaltsdefizit auf 8 Prozent des BIP. Da die Zinsen in den vergangenen Monaten stark gesunken sind, ist es bereits deutlich niedriger als vor einem Jahr (11 Prozent). Aber schon bei kleinsten Zweifeln an der Umsetzung der Rentenreformen würden die Zinsen wieder steigen, was eine Stabilisierung der Schuldenquote erschweren würde

 

Es ist wirklich ein Wunder, dass der brasilianische Kongress voraussichtlich im Mai über die Rentenreformen abstimmen wird. Noch vor einem Jahr war dies unwahrscheinlich. Allerdings wurde inzwischen das Amtsenthebungsverfahren gegen Präsidentin Dilma Rousseff eingeleitet. Zwar gibt es weiter einige Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Verfahrens, aber die neue Regierung hat die drängendsten Reformen tatsächlich angepackt. Dabei erzielt sie in allen wirtschaftspolitischen Bereichen Fortschritte: Neben dem Plan zur wichtigen Rentenreform wurden auch strikte Vorgaben zur Begrenzung der Staatsausgaben eingeführt, weit verbreitete Kreditsubventionen werden eingedämmt, in mehreren Branchen findet eine Deregulierung und Privatisierung statt, und weitreichende Arbeitsmarkt- und Steuerreformen werden ausgearbeitet. Ein Team von Technokraten soll diese Reformen vorbereiten, und Präsident Temer sowie sein wichtigster Berater Eliseu Padilha haben bewiesen, dass sie sich die erforderliche politische Unterstützung im Kongress sichern können.

 

Erst im Oktober 2018 stehen Präsidentschaftswahlen an, sodass noch Zeit für die Reformpolitik vorhanden ist. Die Übergangsregierung scheint über das Wissen, die Tatkraft und das erforderliche politische Kapital zu verfügen, um die größten wirtschaftlichen Herausforderungen Brasiliens anzugehen. Daher dürfte das Vertrauen in das Land am Zuckerhut weiter wachsen, die Zinsen dürften weiter sinken und das Wachstum sollte sich endgültig wieder beleben. Dennoch bestehen weiterhin Risiken. So könnten Schlüsselpersonen der Regierung Temer zurücktreten, weil sie möglicherweise in einen der größeren Korruptionsskandale verwickelt sind. Oder es könnte aufgrund einer Konjunkturverlangsamung in China zu einer Rohstoffpreiskorrektur kommen. Längerfristig sind die beträchtliche Einkommensungleichheit und das schlechte Bildungssystem ernsthafte Herausforderungen. Die finanziellen Risiken erscheinen jedoch derzeit beherrschbar. Aber noch viel wichtiger ist, dass kein anderes Schwellenland derzeit eine größere Reformdynamik aufweist als Brasilien.

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