Es kommt nicht oft vor, dass Banken Produkte anbieten, die nicht nur bei der Bank selbst, sondern auch bei Anlegern gut ankommen. Mit Exchange Traded Funds (ETFs) scheint die Finanzindustrie aber endlich das für beide Seiten beste Finanzinstrument gefunden zu haben. Die Absatzstatistik von Investmentfonds der letzten Jahre zeigt, dass in Deutschland mittlerweile mehr Geld in ETFs, also in passive Indexfonds fließt, als in aktiv gemanagte Fonds.
Die Gründe für den ETF-Boom sind schnell gefunden: ETFs sind mit Verwaltungsgebühren von in der Regel nur wenigen zehnteln Prozent deutlich günstiger als aktiv gemanagte Fonds. Zudem unterliegt man als Anleger nicht dem Risiko, dass sich das eigene Investment schlechter als der Index entwickelt. Schließlich spiegelt ein ETF den Index stets exakt wider. Im Umkehrschluss bedeutet dies für ETF-Anleger jedoch auch, dass der Durchschnitt das Ziel ist, denn ein Index bildet immer den Durchschnitt eines Marktes ab.
Sich mit Durchschnitt zufrieden zu geben, ist bei der Kapitalanlage durchaus eine Überlegung wert, denn statistisch betrachtet sind nur die wenigsten Fondsmanager in der Lage, ihren Index zu schlagen. Als logisch denkender Anleger sollte man bei den genannten Argumenten für ETFs dennoch kurz innehalten und ins Grübeln kommen. Gehe ich für meine Pizza Diavolo auch immer zum billigen Durchschnittsitaliener? Oder kaufen die großen Fußball-Clubs bevorzugt billige Durchschnittskicker, da die Ronaldos und Messis so rar gesät sind?
Und wieso bieten Banken freiwillig ETFs an, deren offiziell ausgewiesene Kosten gerade einmal 0,09 Prozent jährlich betragen – wie beispielweise bei einem ETF auf den Euro Stoxx 50 der Deutsche Bank-Tochter Deutsche Asset Management? Irgendwie passt diese genügsame Minimarge gar nicht zu dem Bild der Banken, dass sich diese in den letzten Jahren „mühselig“ durch unerlaubte Preismanipulationen bei Anleihen, Rohstoffen, Devisen und Zinsen „erarbeitet“ haben. Auch leichtgläubigen ETF-Anhängern sollte also klar sein, dass bei der Strukturierung und Verwaltung von ETFs für Banken am Ende deutlich mehr hängen bleibt als die offiziell ausgewiesene Enthaltsamkeit.
Lassen wir es mit den Kosten an dieser Stelle jedoch bewenden und konzentrieren uns ausschließlich auf den vermeintlichen inhaltlichen Vorteil von ETFs: die garantierte Durchschnittlichkeit. Die Erkenntnis, dass nur wenige Fondsmanager in der Lage sind, ihren Index als Benchmark zu schlagen, gilt als Grund, warum ETFs die sinnvollere Alternative gegenüber aktiv gemanagten Fonds sind. Ist diese Argumentation aber wirklich schlüssig? Ist Durchschnitt in anderen Bereichen des Lebens ebenfalls unser vorrangiges Ziel?
Geht es uns nicht vielmehr darum, für uns stets nur das Beste zu finden? Obwohl uns allen das Pareto-Prinzip bekannt ist und wir wissen, dass in allen Lebens- und Wirtschaftsbereichen immer nur ein Fünftel in der Lage ist, Überdurchschnittliches zu leisten, begeben wir uns doch eigentlich immer wieder auf die Suche nach genau diesem Fünftel. Das gilt für unseren Pizzabäcker, unseren Hausarzt, unseren Steuerberater, unseren Hund/Hamster/Wellensittich und unsere Frau – bzw. für das jeweils gegengeschlechtliche Pendant. Warum setzen wir also ausgerechnet bei Fonds auf Durchschnitt?
Per Saldo bin ich mir sicher, dass der aktuelle ETF-Boom nahezu ausschließlich auf das auch bei Anlegern um sich greifende Lemminge-Verhalten zurückzuführen ist. Ebenso wie wir im Fernsehen nur noch Kochtanzsingratesendungen schauen, setzen wir als Anleger auch bei der Geldanlage zunehmend auf die gleichen Pferde. Während uns die Finanz- und Fernsehindustrie allerdings Glauben macht, wir hätten dies als Konsumenten exakt so nachgefragt, wird wohl eher anders herum ein Schuh draus. Man tischt uns auf und wir lassen uns – naiv wie wir sind – zur Durchschnittlichkeit verführen.
Im Falle von ETFs stimmt diese Tendenz auch aus folgenden Gründen bedenklich:
- Kontrollmechanismen werden ausgehebelt
Während ein aktiver Fondsmanager bei seinen Aktien ein vitales Interesse daran hat, auf Hauptversammlungen genauestens zu prüfen, wie er bei HV-Beschlüssen abstimmt, ist dies für die Bank bei der Verwaltung eines ETFs uninteressant. Schließlich bildet sie lediglich passiv einen Index nach und hat bei den im ETF gehaltenen Aktien keine Eisen im Feuer. Die Flut an ETFs führt also dazu, dass HV-Beschlüsse immer häufiger kritiklos „durchgewunken“ werden und die Aktionäre als erforderliche Kontrollinstanz zunehmend zahnloser werden. - Überreizung von Marktbewegungen
Da Indizes auf Basis der Marktkapitalisierung zusammengesetzt werden und nur eine begrenzte Anzahl an Werten enthalten, führt die Flut an ETFs dazu, dass sich die Kapitalströme nur auf wenige, große Werte fokussieren. Das wiederum verstärkt deren Kursentwicklung sowohl in die positive als auch in die negative Richtung und führt in Boom-Phasen zu überzogen hohen und in Baisse-Phasen zu übertrieben niedrigen Kursen und Bewertungen. - Verpasste Chancen
Je mehr Anleger sich über ETFs auf die großen, teuren Indexschwergewichte konzentrieren, desto mehr Chancen ergeben sich abseits dieser Pfade. Fundamental hervorragende Aktien außerhalb der Indizes bleiben vielfach zunächst unentdeckt und unterbewertet, bieten am Ende jedoch das bessere Chance/Risikoverhältnis. - Das Regiment der Gleichgültigkeit
Wenn kaum jemand mehr Anlageentscheidungen aus Abwägung und Überlegung tätigt und die Mehrheit unkritisch dem Durchschnitt des Index folgt, bestimmt allein Gleichgültigkeit und Größe die Märkte. Ein ziemlich trostloses Weltbild.
Wenn man es nüchtern betrachtet, steht der ETF-Boom für die Resignation der Anleger vor den Märkten und für die Beförderung des Durchschnittlichen zum Klassenbesten – ohne dass sich Anleger hierüber bewusst sind.
Kolumne von André Kunze, Geschäftsführender Gesellschafter der Prometheus Vermögensmanagement GmbH