Wenn es in Unternehmen kriselt oder brennt, dann gehen deren Führungskräfte oft auf Tauchstation. Das heißt, statt das Gespräch mit den Mitarbeitern zu suchen, gehen sie ihnen vielfach aus dem Weg – aus Angst vor unangenehmen Fragen. Dadurch verstärken sie die Verunsicherung der Mitarbeiter.
In dem mittelständischen Produktionsunternehmen herrscht eine angespannte Stimmung. Deutlich spüren seine Mitarbeiter: Bei uns liegt etwas im Argen. Hektisch eilen ihre Vorgesetzten von einem Meeting zum nächsten. Und sprechen ihre Mitarbeiter sie an, zum Beispiel, weil sie eine Info zum Weiterarbeiten brauchen, dann spüren sie: Unsere Chefs sind mit ihrem Kopf woanders. Eher unwirsch geben sie uns eine knappe, meist unbefriedigende Antwort. Und dann verschwinden sie wieder in ihren Büros.
Die Mitarbeiter verunsichert dieses für sie unerklärliche Verhalten. Sie fragen sich irritiert: Was ist hier los? Und weil sie keine Antwort auf diese Frage wissen, sprechen sie hierüber mit ihren Kollegen. Das heißt, der Bazillus Verunsicherung verbreitet sich immer weiter im Unternehmen. Vor allem, weil sich die Mitarbeiter zunehmend fragen: Was kommt da auf uns zu?
Solche Prozesse registriert man immer wieder in Unternehmen, wenn in ihnen größere Verände-rungen anstehen. Dann beobachtet man oft, dass die Entscheider (scheinbar) vergessen, dass sie auch Führungskräfte mit Mitarbeitern sind – weil ihnen andere Probleme unter den Nägeln brennen.
Information ist oft nur eingeschränkt möglich
Zum Teil ist dies verständlich. Denn wenn ein Unternehmen in eine akute Krise gerät, dann weiß sein Führungspersonal oft selbst nicht: Wie sollen wir hierauf reagieren? Es muss erst einmal selbst zu einer Einschätzung gelangen: Was bedeutet der Umsatz- oder Gewinneinbruch für uns? Oder das Sperren der Kreditlinie durch die Bank? Oder die von der Konzernzentrale verordnete Kostensenkung von 20 Prozent? Außerdem müssen sich die Entscheider zunächst selbst Klarheit darüber verschaffen: Welche Handlungsoptionen haben wir in der aktuellen Si-tuation? Und: Wie wollen wir in ihr reagieren?
Hinzu kommt: Oft können die Entscheider die Mitarbeiter nicht über das „Problem“ informieren – selbst wenn sie dies gerne täten. So zum Beispiel, wenn dem Unternehmen ein existenzbedro-hender Rechtsstreit droht. Oder wenn ein neuentwickeltes Produkt, das die Cashcow von morgen werden sollte, sich als Flop erweist. Denn ansonsten bestünde die Gefahr, dass die Information ausleckt – zum Beispiel bei den Kunden und Lieferanten oder Mitbewerbern und Banken. Und dies würde die Lage verschlimmern. Also gehen die Entscheider in solch prekären Situationen vielfach auf Tauchstation. Das heißt, sie sind für ihre Mitarbeiter nicht ansprechbar – vor allem, weil sie (Rück-)Fragen fürchten, auf die sie noch keine Antwort haben.
Ein Abtauchen ist nicht zielführend
Ein solches Abtauchen ist in der Regel die falsche Reaktion – auch wenn ein solches Verhalten verständlich ist, weil in Krisensituationen nicht nur ein extremer Arbeits- und Entscheidungsdruck, sondern auch psychischer Druck auf den Führungskräften lastet. Trotzdem sollten sie sich auch dann vergegenwärtigen, dass sie als Geschäftsführer oder Bereichsleiter eines Unternehmens auch Führungskräfte sind, die ihren Mitarbeitern – soweit möglich – Orientierung und Halt geben müssen. Folglich sollten sie auch in Krisenzeiten das Gespräch mit ihren Mitarbeitern suchen und diese beispielsweise so umfassend wie möglich informieren.
Relativ einfach ist dies meist, wenn die Krise aus Veränderungen im Unternehmensumfeld resultiert. Als Beispiel hierfür kann die Wirtschafts- und Finanzkrise im Gefolge der Lehman-Pleite dienen, die viele Unternehmen unerwartet in eine Schieflage brachte. In einer solchen Situation erfordert es von den Führungskräften vor allem Mut, vor ihre Mitarbeiter zu treten und zu ihnen beispielsweise zu sagen: „Wie Sie wissen, hat die Finanzkrise zu einer dramatischen Veränderung der Marktsituation geführt. Daraus haben sich auch für unser Unternehmen einige Probleme im Bereich ‚…’ ergeben, bei denen wir aktuell noch nicht genau wissen, wie wir darauf reagieren sollen. Die Geschäftsleitung wird diesbezüglich aber in nächster Zeit die erforderlichen Entscheidungen treffen und Sie hierüber dann informieren. Bitte haben Sie Ver-ständnis dafür, dass ich Ihnen heute noch keine näheren Infos geben kann. Lassen Sie uns bitte ……“ Gibt eine Führungskraft ihren Mitarbeitern eine solche Information, dann haben diese eine gewisse Orientierung.
Schwieriger ist die Situation, wenn die Krise nicht durch externe Faktoren, die jeder kennt, verur-sacht wurde und/oder nicht bekannt werden darf, welches Problem das Unternehmen hat. Doch auch dann sollten die Führungskräfte das Gespräch mit den (relevanten) Mitarbeitern suchen und zu ihnen zum Beispiel sagen: „Unser Betrieb hat zur Zeit ein Problem, über das ich mit Ihnen aktuell noch nicht sprechen kann, weil ein Bekannt-werden dieser Information unseren Markt verunsichern würde. Die Geschäftsleitung arbeitet aber mit Hochdruck daran, eine Lösung zu finden. Wenn wir diese gefunden haben, werden wir Sie informieren.“ Auch dann haben die Mitarbeiter eine erste Information.
Soweit möglich mit offenen Karten spielen
So auf ein offensichtlich vorhandenes Problem zu reagieren, ist zielführender als abzutauchen – vor allem, weil die Mitarbeiter ohnehin die Anspannung ihrer Führungskräfte spüren. Noch weniger zielführend ist es, wenn die Führungskräfte, wenn Mitarbeiter sie darauf ansprechen, das Vorhandensein eines Problems negieren. „Wie kommen Sie auf die Idee, dass wir …?“ Denn aufgrund des (Antwort-)Verhaltens der Führungskräfte spüren die Mitarbeiter meist sehr genau: Was mir mein Chef sagt, ist nicht die Wahrheit. Die Folge: Die Mitarbeiter verlieren das Vertrauen in ihre Vorgesetzten, was das gemeinsame Lösen der Krise erschwert, wenn die erforderlichen Entscheidungen getroffen sind.
Anders ist dies, wenn die Führungskräfte – soweit möglich – mit offenen Karten spielen und für Verständnis für das aktuelle Verhalten werben. Denn dann haben die Mitarbeiter das Gefühl: Unsere Führung denkt auch in der Krise an uns und wird deshalb auch unsere Bedürfnisse beim Suchen eines Wegs aus der Krise berücksichtigen.
Extrem wichtig ist jedoch, dass die Führungskräfte, bevor sie das Gespräch mit ihren Mitarbeitern suchen, hierfür eine Art Drehbuch entwickeln. Das heißt, sie sollten sich im Kollegenkreis unter anderem darüber verständigen:
• Wie gehen wir vor?
• Welche Informationen geben wir den Mitarbeitern?
• Wie begründen wir unser aktuelles Verhalten?
• Welche Erwartungen formulieren wir an die Mitarbeiter in der aktuellen Situation? Und:
• Welche (einlösbaren) Versprechen geben wir ihnen?
Denn nichts ist in Situationen, in denen die Mitarbeiter ohnehin verunsichert sind, fataler, als wenn die Führungskräfte mit verschiedenen Stimmen sprechen. Hierdurch werden die Spekulationen angeheizt – so sehr, dass das Problem in den Augen der Mitarbeiter oft größer und bedrohlicher wird als es tatsächlich ist.
Führungshandeln immer wieder neu austarieren
Welches Führungsverhalten in einer Krisensituation zielführend ist, auf diese Frage gibt es keine Standardantwort. Dafür sind die Ausgangssituationen in den Betrieben sowie die Problemstellungen zu verschieden. Hinzu kommt: Welches Führungsverhalten gerade angesagt ist, hängt auch davon ab, wie weit die Entscheidungssituation fortgeschritten ist. Das heißt: Die Führungskräfte müssen ihr Verhalten immer wieder neu justieren. Sie müssen sich in ihren Meetings immer wieder fragen: Wie verhalten wir uns in den nächsten Tagen oder Wochen im Kontakt mit den Mitarbeitern? Welche Infos geben wir Ihnen?
Das geschieht in den Meetings zumeist nicht. Primär aus folgendem Grund: Das gemeinsame Suchen nach der bestmöglichen Lösung erfordert von den Teilnehmern meist so viel Energie, dass sie in der Regel erschöpft sind, wenn diese endlich gefunden ist. Alle atmen erleichtert durch, und jeder möchte so schnell wie möglich an seinen Schreibtisch zurückkehren. Die Folge: Über das Thema „Wie gehen wir mit den Mitarbeiter um?“ wird in den Meetings entweder nicht gesprochen oder erst, wenn alle Teilnehmer bereits in Aufbruchstimmung sind. Entspre-chend unkoordiniert ist anschließend das Vorgehen.
Führungsmannschaft muss zusammenhalten
Deshalb empfiehlt es sich, zu den Treffen einen externen Berater hinzu zu ziehen – nicht nur, damit die Mitarbeiter nicht vergessen werden. Hinzu kommt ein weiterer Punkt: Aufgrund ihrer unterschiedlichen Position im Unternehmen haben die Führungskräfte meist eine unterschiedliche Sicht auf das Problem. Auch ihre Auffassungen darüber, welcher Lösungsweg der beste wäre, divergieren.
Entsprechend oft geraten sich die Führungskräfte eines Unternehmens bei solchen Meetings in die Haare – auch weil sie unter einem enormen Druck stehen. Die Folge: Oft überschütten sich die Teilnehmer wechselseitig (direkt oder indirekt) mit Vorwürfen. „Wenn Sie rechtzeitig …..“ „Ich habe schon vor drei Jahren gesagt, ….“ Das erschwert nicht nur das Finden einer tragfähigen Lösung. Oft resultieren aus den Vorwürfen und wechselseitigen Schuldzuweisungen auch persönliche Verletzungen, die dauerhaft ein Zusammenarbeiten erschweren. Auch deshalb sollte zu solchen Meetings ein neutraler Moderator hinzugezogen werden. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass in der Führungsmannschaft ein weiterer Brandherd entsteht, was die Krise weiter verschärft.
Zum Autor: Rainer Flake ist einer der drei Geschäftsführer der WSFB-Beratergruppe Wiesbaden (Tel.: 0611/15766-0; E-Mail: rflake@wsfb.de, Internet: http://www.wsfb.de), die Unternehmen bei Veränderungsprozessen begleitet. Zudem bildet WSFB Organisationsberater aus. Rainer Flake ist Bankkaufmann und Diplom-Betriebswirt. Vor seiner Beratertätigkeit war er unter anderem Leiter Personalentwicklung bei einer Bank.