Ausschlag gebend ist Besonderheit bei Kapitalschutzzertifikaten der US-Pleitebank
Wegen fehlerhafter Anlageberatung hat das Landgericht Hamburg mit Urteil vom 27.1.2012 (Az.: 330 O 476/10) die Bethmann AG (zuvor: Delbrück Bethmann Maffei AG) zu mehr als 140.000 Euro Schadenersatz verurteilt. Der Kläger hatte einen sechsstelligen Eurobetrag in so genannte Kapitalschutzzertifikate der US-Pleitebank Lehman Brothers investiert. Diese waren mit einem Sonderkündigungsrecht durch die Emittentin versehen, über das der Investor nach Ansicht des Hamburger Landgerichts durch seinen Berater hätte aufgeklärt werden müssen. Die Entscheidung ist übertragbar auf Kapitalschutzzertifikate anderer Emittenten, die sich ähnlicher Sonderkündigungsrechte bedienen. Erstritten wurde das Urteil von der auf Anlegerschutz spezialisierten KWAG Kanzlei für Wirtschafts- und Anlagerecht in Hamburg und Bremen.
Hintergrund. So genannte Kapitalschutzzertifikate wurden und werden auf viele unterschiedliche Basiswerte begeben und „haben meist sehr fantasievolle Bezeichnungen“, sagt Jan-Henning Ahrens, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht sowie KWAG-Partner. Im vorliegenden Fall hatte der Kläger in Zertifikaten mit zwei unterschiedlichen Basiswerten investiert. Beim einem waren fünf Banktitel das Underlying, beim anderen sechs Dax-Werte. Besonderheit von Kapitalschutzzertifikaten ist, dass ein Anleger am Ende der Laufzeit seinen gesamten Kapitaleinsatz zurückerhält – unabhängig von der Entwicklung des betreffenden Underlyings. Zu Verlusten kommt es bei dieser Variante von Zertifikaten nur, falls die Emittentin – wie bei Lehman Brothers – insolvent wird. „Deshalb haben Banken und Sparkassen solche Zertifikate insbesondere risikoscheuen Privatanlegern verkauft“, erläutert Jan-Henning Ahrens.
Infolge der Lehman-Pleite im September des Jahres 2008 haben dann nach Expertenschätzung 40.000 Anleger in Deutschland rund 750 Millionen Euro verloren. Nach zwei höchstrichterlichen Entscheidungen des Bundesgerichtshofs (BGH) waren die Chancen zahlreicher Lehman-Opfer auf Schadenersatz vorübergehend deutlich gesunken (Az.: XI ZR 178/10 und XI ZR 182/10).
„Mit der aktuellen Entscheidung des Landgerichts Hamburg dürften geschädigte Anleger ein neues und Erfolg versprechendes Argument haben, ihre Bank oder Sparkasse auf Schadenersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung zu verklagen. Voraussetzung ist, dass die dreijährige Verjährungsfrist im Einzelfall noch nicht abgelaufen ist“, weiß Jan-Henning Ahrens. Grund ist eine Besonderheit, mit der nach Erkenntnissen von KWAG sämtliche Kapitalschutzzertifikate von Lehman Brothers ausgestattet waren – nämlich das so genannte Sonderkündigungsrecht der Emittentin. Dieses hätte vor Laufzeitende des Zertifikats ausgeübt werden können und zweifellos einen Haken gehabt. Denn „in diesem Fall wäre der hundertprozentige Kapitalschutz nicht gegeben, da die Emittentin, also Lehman Brothers, einen so genannten angemessenen Marktpreis hätte festlegen können. Dieser hätte dann auch deutlich unter dem Nennwert, also hundert Prozent, liegen können. Abhängig von der Entwicklung des Underlyings bis dahin“, erläutert Fachanwalt Ahrens.
Aber genau über diese Zusammenhänge hätte die Bethmann AG, die vor Umfirmierung Delbrück Bethmann Maffei AG hieß, den Anleger vor dem Kauf der Zertifikate aufklären müssen. Was jedoch nachweislich nicht passierte, so dass der Investor mehr als 140.000 Euro Schadenersatz von der Bethmann AG erhält. Dieser Betrag setzt sich zusammen aus der Summe, die der Kläger seinerzeit in die beiden Lehman-Zertifikate investiert hatte, sowie aus Zinszahlungen seit Ende Juni 2009, weil der Investor über sein Geld nicht verfügen konnte.
„Banken haben bestätigt, dass die Sonderkündigungsklausel ‚marktüblich’ war und ist, somit zahlreiche Kapitalschutzzertifikate betrifft“, sagt Fachanwalt Ahrens. Da das Urteil des Hamburger Landgerichts wichtig ist für alle Investoren, die in ihren Depots noch wertlose Kapitalschutzzertifikate mit Sonderkündigungsklauseln haben, „lohnen ein Blick in die Bedingungen dieser Inhaberschuldverschreibungen und die Prüfung, ob die Verjährungsfrist noch nicht abgelaufen ist“, rät eindringlich Jan-Henning Ahrens.