Die Abstimmung, ob die Griechen nun pleite gehen wollen oder nicht ist vom Tisch – an den Tatsachen hat sich dennoch nichts geändert. Die Krise offenbart, dass sich die Hellenen in den letzten 50 Jahren etwas vorgemacht haben. Warum aber hat keine griechische Regierung den Mut gehabt, Wahrheiten offen anzusprechen und notwendige Reformen einzuleiten? Warum machen Regierungen und Firmenlenker überall auf der Welt ähnliche Fehler. Antworten darauf liefert der Allensbacher Wirtschaftspsychologe Winfried Neun und zeigt, dass dieses Verhalten einfach nur menschlich ist und wie man es besser machen kann.
Festhalten am Althergebrachten – Angst vor Veränderung
Die Antwort ist simpel und doch kaum zu verstehen. Wie wir als Einzelpersonen erkennen, was richtig und was falsch ist, so müssen auch ganze Gesellschaften verstehen lernen, wann der Zeitpunkt für eine notwendige Veränderung gekommen ist. Kein „Weiter so“ hilft den Griechen mehr weiter, kein „Aussitzen“ von Problemen oder die Anwendung von finanztechnischen Tricks, um die eigene Wirtschaftsbilanz zu schönen und wie schon geschehen, mit bewusst falschen Zahlen die Maastricht-Kriterien zu erfüllen.
Doch warum haben sich die Griechen ihre Realität so geschönt, ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit überschätzt und sogar gelogen, um vor den anderen EU-Staaten nicht als Versager da zu stehen? Die Antwort liegt im psychologischen Bereich. Viele Staaten der Euro-Zone betreiben immer noch die gleichen geographischen Wachstumsstrategien – statt intelligent zu wachsen. Es werden innovative Industrien und Dienstleistungsbranchen vernachlässigt und die politisch Verantwortliche, die auf Zeit gewählt sind, schauen eher auf die nächste Wahl als auf eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung, die neue Märkte und Branchen intelligent erobert.
Ist dies alles eine Folge des Hangs zum Beharren? Ja und Nein – denn der Wunsch, alles so zu lassen wie es war, gilt auch für Staaten, aber der globale Wettbewerb zwingt sie zur Anpassung und hier ist auch das eigentliche griechische Dilemma zu finden.
Veränderung versus Duldungsstarre
Denn der Wunsch nach Veränderung als Folge des globalen Wettbewerbsdruckes ist schnell ausgesprochen, aber die richtigen Maßnahmen hierzu einzuleiten scheitert oft genug an der Duldungsstarre vieler Entscheider – ein Relikt unserer Vorfahren. Vielmehr werden Absichten geäußert: eine sparsamere Haushaltsführung oder weniger Abhängigkeit von einzelnen Branchen oder mehr Kraft zu Innovationen. Leider werden diese Absichten nicht selten wieder vergessen oder von kleinen Erfolgen als doch nicht notwendig angesehen. Absichten leben aber vom Moment der Entscheidung und damit von der positiven Motivation, jetzt und zwar jetzt sofort etwas zu tun. Die Zeit der Tatenlosigkeit vergräbt unsere Absichten im Sumpf der unerledigten Wünsche und damit Enttäuschungen – und auch das ist ein Schutzmechanismus unseres Verstandes. Stellen sie sich nur einmal vor, sie würden sich jeden Tag mit der Qual aller nicht erledigten Aufgaben und Herausforderungen beschäftigen müssen – nur das Vergessen schafft für uns die Chance der Entspannung und den Freiraum für Neues.
Gleiches gilt auch bei der Bewahrung vieler scheinbar guten Traditionen in Gesellschaften. Zu oft waren aber diese Traditionen nur in der Erinnerung so positiv oder gar federführend in unserem Handeln. Die Rückschau auf die Traditionen bringt ein Land schnell in eine Lage der Selbstüberschätzung. Das Richtige zu tun wird überlagert von dem Fehler aus der Erfahrung heraus, die Entscheidungen der Vergangenheit als doch klar und eindeutig zu interpretieren. Plötzlich hat jeder gewusst, dass die Banken mit ihren Produkten und ihrem Verhalten eine Immobilienblase produzieren und somit Billionen von Verlusten weltweit produzieren – jeder hat auch gewusst, dass die einzelne EU-Länder dieser Krise nicht Stand halten werden – usw. Heute ist jeder schlauer und jeder weiß was eigentlich geschehen war – wissen wir es aber wirklich und vor allem führt diese Verhalten nicht zu einer Selbstüberschätzung, die zu einer nächsten Krise führen kann? Die aktuelle Situation in einzelnen EU-Staaten lässt dies befürchten. Eine Euphorie der Selbstüberschätzung in Politik und Gesellschaft basiert nicht selten auf diesem Rückschaufehler, der uns alles so klar und nachvollziehbar erscheinen lässt, so dass wir den Weg zum Richtigen nicht mehr erkennen können. Es gibt Kräfte in uns, welche aus der Evolution unserer Entwicklung entstanden sind, die es uns schwer machen, das Richtige zu erkennen und dann auch zu tun. Dabei sind zwei Antagonisten am Werk – das Denken und das Handeln. Und diese Antagonisten scheinen im Falle Griechenlands besonders weit auseinander zu liegen und sich kaum miteinander zu verbinden.
Denken und Handeln als Freund und Feind!
Der Mensch ist, was er will – so ein uraltes Zitat. Und in der Tat – das Wollen bestimmt unser Handeln – aber leider nicht ausschließlich. Denn viele unserer Wünsche und Orientierungen entstehen durch eine Kombination verschiedener Aspekte.
Orientierung prägt unsere Einstellung zu Dingen, Themen und Inhalten. Dabei entsteht die Orientierung selbst durch drei wesentliche Faktoren – dem Denken, den Motiven und dem Fühlen. Die sicherlich besonders ausgeprägt treibende Kraft sind unsere Motive. Motive sind Prägungen, die unsere Motivation von „Innen heraus“ besonders stark antreiben. Drei wesentliche Motivstrukturen sind zu unterschieden: Das Beziehungsmotiv, das Leistungsmotiv und das gestalterische Machtmotiv. Jeder Mensch besitzt alle drei Motive in sich, hat jedoch im Laufe der eigenen Persönlichkeitsentwicklung den Schwerpunkt eher auf die Motivstruktur gelegt.
Diese Motivstrukturen beeinflussen unser Denken und Handeln und prägen damit unsere Einstellung zu bestimmten Situationen bzw. Sachverhalten. Dabei prägt das Beziehungsgmotiv unsere Einstellung zu unseren Mitmenschen und damit unser Verhalten gegenüber anderen. Ein Mensch mit ausgeprägtem Beziehungsmotiv – auch Beziehungsmotivler genannt – sieht in der Beziehung zu anderen Menschen seine treibende Motivation. Er geniest die Gemeinschaft und baut auf Harmonie und emotionale Bindung. Diese Bindung ist für die meisten Griechen verloren gegangen, sie sehen sich als Einzelkämpfer mit zwar starken familiären Wurzeln, sind aber der Gesellschaft an sich keine Verantwortung schuldig.
Demgegenüber ist der Leistungsmotivler eher durch konkrete Aufgabenstellungen mit klaren Zielen zu motivieren. Die erfüllt er gewissenhaft – aber auch nicht mehr. Der Machtmotivler hingegen sieht seine Motivationsquelle in der Gestaltung von Neuem. Er will erkennen, wie Goethes Faust, was „des Pudels Kern“ ist und was die Erde zusammen hält. Neues zu gestalten, aufzubauen und Grenzen zu sprengen, treiben ihn zur Höchstleistung. Alle drei Formen sind treibende Kräfte für das Denken und Handeln und alle drei Ausprägungen sind jedem Menschen eigen.
Was hat das mit Griechenland zu tun?
Aus rein psychologischer Sicht gesehen, scheint es so, als wenn den Griechen diese treibenden Kräfte abhanden gekommen oder nur noch rudimentär vorhanden sind. Sie scheinen sich in ihr Schicksal ergeben zu haben und müssen nun erkennen, dass die Folgen der Jahrzehnte des Bewahrens oder der Nicht-Veränderung nun über ihnen zusammenbrechen. Die Folge: Eine vehemente Ablehnung einer Veränderung, die zwar von vielen als notwendig angesehen aber in ihrer Radikalität weitestgehend abgelehnt wird.
Warum es uns so schwerfällt, das Richtige zu tun
Die Psychologie der Entscheidungen
BusinessVillage Juli 2011
ISBN : 978-3-86980-112-4
Der Autor
Winfried Neun ist einer der bekanntesten und profiliertesten Innovationsberater Deutschlands. Als Gründer und Geschäftsführer der K.O.M.® Kommunikations- und Managementberatung verfügt Winfried Neun über die Erfahrungen von mehr als 20 Jahren selbstständiger Beratungstätigkeit. Er ist gefragter Referent auf Kongressen und Symposien, Fachautor in namhaften Printmedien sowie im Fernsehbereich und in diversen mittelständischen Unternehmen als Beirat aktiv.